November 2022

Regelmäßig werden in der Rubrik „Quelle des Monats“ Raritäten aus dem Bestand des fmg vorgestellt. Die Exponate konnten dank der Finanzierung durch die Mariann Steegmann Stiftung erworben werden und ergänzen den vielfältigen und einzigartigen Archivbestand des Forschungszentrums. Ausstellungsstücke und Exponatbeschreibungen der vergangenen Monate können links im Menü eingesehen werden.

Direktion – Dirigentin – Damenensembles. Postkartendarstellungen von Damenensembles mit weiblicher Direktion

Das fmg Hannover beherbergt eine Postkartensammlung, bestehend aus 460 Karten die größtenteils Damen-Ensembles portraitieren. Damenensembles, und -orchester bildeten sich Mitte des 19. Jahrhunderts. Zunächst in Form von Damenkapellen oder Familienensembles, später auch als von Frauen geleitete Orchester. Aufgrund des ungewohnten Bildes einer Gruppe musizierender Frauen wurde ihnen teilweise wenig Seriosität zugeschrieben, aber verbesserte Ausbildungsbedingungen und wachsender Drang zur Gleichberechtigung ermöglichten Frauen vermehrt Zugang zu öffentlichem Konzertschaffen. Da die klassischen, institutionellen Orchester kaum Musikerinnen in ihren Reihen aufnahmen, formierten sich aus den bis dahin meist einzeln musizierenden Frauen eigene Ensembles. So selten Frauen in den klassischen Orchestern gesichtet wurden, desto seltener fand man sie auf dem Podest vor dem Orchester, was sich bei Damenensembles um das 19. Jahrhundert ändern sollte.

 

Beispiele aus der Postkartensammlung, Rara/FMG Postkarten © Archiv fmg

 

Eine Besonderheit der weiblichen Kapellen und Orchestern war deren Direktion. Einige der im 19. Jahrhundert in Österreich und Deutschland gegründeten Damenensembles boten erstmals auch weiblichen Dirigentinnen die Chance zur Leitung eines musikalischen und orchestralen Klangkörpers, da ihnen das Dirigieren von anderen, institutionellen Orchestern meist nicht erlaubt war.

 

links oben: „Elite Concert-Orchester“, Signatur: Rara/FMG Postkarten.149 © Archiv fmg; rechts unten: „Salon-Konzert-Damenorchester“, Signatur: Rara/FMG Postkarten.58 © Archiv fmg

 

Herauszufinden, welche Damenensembles unter weiblicher musikalischer Leitung standen, stellt eine Schwierigkeit in der Sichtung des Postkartenkonvoluts dar. Die Direktion wird, wenn angegeben, teils ohne Vornamen oder nun Initial angegeben und häufig ist unklar, ob sich die Direktion sich überhaupt innerhalb der Konstellation auf der Abbildung befindet. Daher wurden zwei Ensembles ausgewählt, die aufgrund der recht eindeutigen Bild- und Namenskombination unter dem Foto des Ensembles Hinweise auf die Leitung einer Frau gaben.

Eine der Postkarte porträtiert das „Elite Concert-Orchester“ unter der Direktion von Ludmilla Gehrecke und die andere zeigt das „Salon-Konzert-Damenorchester“ unter der Direktion von Juliane Janetschek. Von beiden Ensembles befinden sich jeweils noch weitere Postkarten in der Sammlung im fmg. Die Poststempel zeigen eine Datierung zwischen 1901 und 1908, was auf eine Existenz der Ensembles in ebendiesem und damit bei beidem einem ähnlichen Zeitraum verweist.

 

Ludmilla Gehrecke - das „Elite Concert-Orchester“

„Elite Concert-Orchester“, Signatur: Rara/FMG Postkarten.149 © Archiv fmg

 

Vom „Elite Concert-Orchester“ unter der Direktion von Ludmilla Gehrecke gibt es in der Sammlung des fmgs drei verschiedene Postkarten. Die Vorderseite der ausgewählten Postkarte ist ein schwarz-weiß Foto und zeigt das Elite-Concert-Orchester wie alle Musiker:innen ihr Instrument spielgerecht in der Hand halten. Es zeigt also eine Art Konzert Situation oder ist als solche inszeniert.

Das Orchester besteht aus 12 Musiker:innen, die die Instrumente Geige, Bratsche, Cello. Kontrabass und Trommel sowie Trompete, Posaune und Klarinette spielen. Alle Musikerinnen des Orchesters tragen weiße, hochgeschlossene, bodenlange Kleider mit weiten Ärmeln. Freia Hoffmann arbeitet in ihrem Buch „Instrument und Körper“ heraus, dass die weit ausgeschnittenen Ärmel, ebenso wie auch manch andere modische Regel, das musizieren von Frauen erschwert haben. Das „Elite Concert-Orchester“ zeigt aber nicht nur Frauen. Drei der abgebildeten Männer tragen Frack und spielen Trompete, Posaune und Klarinette. Sie stehen mitten im Ensemble, heben sich aber optisch durch die andersartige Kleidung vom Rest des Orchesters ab. Männer übernahmen häufig auch in Damenorchestern entsprechend der gewohnten, geschlechtlichen Aufteilung der Instrumente häufig noch die Bläserriege, wobei auf dieser Abbildung die Querflöte ebenfalls von einer Musikerin übernommen wird.

Ludmilla Gehrecke wird auf der Postkarte eindeutig als Dirigentin inszeniert. Sie steht innerhalb des Orchesters, welches einen Halbkreis um sie bildet. Zudem steht sie erhöht und hebt sich durch ihre Kleidung und durch die dirigierende Körperhaltung vom Rest des Orchesters ab. Sie trägt ebenfalls ein weißes Kleid, darüber aber eine schwarze Jacke mit goldenen Knöpfen, was der schwarz-weiß Kombination des männlichen Fracks nahe kommt. Auf einer der anderen Postkarten trägt sie sogar eine Fliege um den Hals. Die eindeutige Darstellung als musikalische Leitung sticht in dem Postkarten-Konvolut hervor, da dort zumeist Abbildungen ohne Instrumente oder klare Abgrenzung durch Kleidung und Inszenierung zu finden sind.

 

Juliane Janetschek – das „Salon-Konzert-Damenorchester“

„Salon-Konzert-Damenorchester“, links: Rara/FMG Postkarten.58 © Archiv fmg, rechts: Rara/FMG Postkarten.164 © Archiv fmg

 

So beispielsweise zu sehen auch beim „Salon-Konzert-Damenorchester“ unter der Direktion von Juliane Janetschek. Das Ensemble präsentiert sich als Gruppe, aber ohne Instrumente. Insofern ist ohne die Bildunterschrift „Damen - Konzert – Ensemble – Direktion: Juliane Janetschek“ auf den ersten Blick kaum zu erkennen, dass es sich um ein musikalisches Ensemble handelt und wer dieses leitet. Dank einer weiteren Postkarte des Ensembles konnte festgestellt werden, dass Juliane Janetschek auch auf der erstgenannten Postkarte abgebildet ist.

Sie trägt wie ihre Mitmusikerinnen ein weißes Kleid mit hohem Kragen und Blume vor der Brust. Im Haar, der aller sehr ähnlich frisierten Musikerinnen glitzert ein ähnlicher Haarschmuck, wodurch ein einheitlicher Charakter befördert wird. Juliane Janetschek inszeniert sich also sehr unauffällig und gliedert sich ein in die Orchestergemeinschaft. Hinzukommt die ungewöhnliche Anordnung auf der Postkarte 2, auf der die Musiker:innen durch Einzelportraits und ohne Instrumente abgebildet werden. Neben Juliane Janetschek wird ein männlicher Musiker durch ein größeres Bild hervorgehoben, von dem anzunehmen ist, dass er als Instrumentalist im Orchester agiert, was gesonderte Position aber nicht erklärt. Juliane Janetschek ist nur durch die Größe und Anordnung des Fotos und die eindeutige Zuordnung als Direktion, durch die Notierung ihres Namens, sowohl unten auf der Karte als auch auf ihrem Bild selbst, als diese erkennbar – jedoch nicht durch die Inszenierung durch Kleidung oder die Bildkomposition im Gemeinschaftsfoto.

Kontrastierende Inszenierungen

Abschließend lässt sich also feststellen, dass Damenensembles- und Orchester bei ihrer Darstellung und Präsentation unterschiedlich mit der Position der Direktion umgegangen sind. Es scheint innerhalb des gleichen Zeitraums verschiedene Auffassungen und Inszenierungen von einer leitenden Frau gegeben zu haben. Es könnte auf ein komplexes und unterschiedliches Selbstverständnis der hierarchischen Einordnung der Dirigentin zurückzuführen sein. Eine zurückhaltende Inszenierung gegenüber dem Orchester wie bei Juliane Janetschek steht jedenfalls im Kontrast zur eher emanzipatorischen Inszenierung bei Ludmilla Gehrecke und zeigt die bis dahin vielleicht noch undefinierte Rolle der Dirigentin, die dementsprechend individuell ausgelebt wurde. Dies steht in einem Kontrast zu einem sehr klar abgesteckten und erkennbaren Bild des männlichen Dirigenten im 19. Jahrhundert.

Die Betrachtung der Damenensembles auf den Postkarten im fmg und im Speziellen die der Direktion zeigt aber auch eine Problematik der visuellen Interpretation, die die Dirigentin Marin Alsop ebenfalls beobachtet hat. Sie zeichnet nur ein eindimensionales Bild der Vorreiterrinnen im Fach ohne ihre praktische Arbeit besprechen zu können. „Da wir Frauen nur einen sehr kleinen Prozentsatz der Dirigentinnen darstellen, ist es, als würden wir alle mit dem Mikroskop betrachtet.“ (zitiert nach Elke Mascha Blankenburg: Dirigentinnen im 20. Jahrhundert, 2003)

 

Text: Mareike Röhricht (Studentin im Studiengang Musikwissenschaft und Musikvermittlung)

 
Ludmilla Gehrecke, Signatur: Rara/FMG Postkarten.438 © Archiv fmg
Juliane Janetschek, Signatur: Rara/FMG Postkarten.58 © Archiv fmg

Zuletzt bearbeitet: 08.11.2022

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