Dezember 2020

Regelmäßig werden in der Rubrik „Quelle des Monats“ Raritäten aus dem Bestand des fmg vorgestellt.  Die Exponate konnten dank der Finanzierung durch die Mariann Steegmann Stiftung erworben werden und ergänzen den vielfältigen und einzigartigen Archivbestand des Forschungszentrums. Ausstellungsstücke und Exponatbeschreibungen der vergangenen Monate können links im Menü eingesehen werden.  

„Das Mißgeschick dieser armen Person geht mir wirklich nahe.“ – Aglaja Orgeni (1842–1926), Sängerin und erste Professorin am Königlichen Konservatorium in Dresden

Aglaja Orgeni wurde am 17. Dezember 1842 in Rima Szombat/Galizien unter dem Namen Anna Maria von Görger St. Jörgen geboren. Ihren Namen änderte sie später zur italianisierten Form ‚Orgeni‘, da sie wegen ihres Namens nicht mit einer Nation in Verbindung gebracht werden wollte. Sie war eine ungarische Koloratur-Sopranistin und Gesangspädagogin. Von 1863 bis 1865 war sie Schülerin bei Pauline Viardot-García in Baden-Baden und später bei Franceso Lamperti in Mailand. Sie trat auf Bühnen in Deutschland, Österreich, Italien, England und Skandinavien auf und hatte ab September 1865 eine Anstellung an der Königlich-Preußischen Hofoper in Berlin. Wegen ihres umfangreichen Repertoires war sie zu jener Zeit eine der gefragtesten Sopranistinnen. Ab dem Ende der 1870er-Jahre widmete sie sich neben dem Konzertieren intensiv der Gesangspädagogik und ihren Schülerinnen. Nach 22 Jahren Lehrtätigkeit in Dresden am Königlichen Konservatorium erhielt Aglaja Orgeni dort als erste Frau den Titel als Professorin. In ihrer Todesanzeige im Neuen Wiener Journal 1926 wird sie vor allem dafür erinnert, dass sie als eine der ersten Lehrerinnen das Wesen der Zwerchfellatmung richtig erkannt habe.  Außerdem soll sie einige weitere Grundkenntnisse der Gesangspädagogik mitbeeinflusst haben. Zahlreiche namhafte Sängerinnen gingen aus ihrer Gesangsschule hervor, die sie in Dresden, Berlin und Wien unterrichtete. Dazu gehören beispielsweise Margarete Siems, Hanka Petzold und Gertrude Förstel. In Wien unterrichtete sie bis zu ihrem Tod in ihrer Wohnung und starb 1926 im Alter von 84 Jahren.

In einem sechsseitigen Brief, der an den Juristen und Musikwissenschaftler Herrn Dr. Latzko in Dresden adressiert wurde, wird deutlich, wie intensiv sich die Gesangspädagogin um ihre Schülerinnen bemühte und wie sie dafür ihr Netzwerk nutzte, welches sie in ihrem Beruf als Künstlerin aufbauen konnte. Den Brief verschickte sie am 27. August 1912 aus der Villa Karlstein in Bad Gastein. Die Nennung gewisser Namen im Laufe des Briefes lässt auf die Reichweite ihres Netzwerkes innerhalb der Dresdner Musikkultur schließen.

Erste und letzte Seite sowie Briefumschlag des Briefes von Aglaja Orgeni an Dr. Latzko, Bad Gastein, 27.8.1912. Signatur: Rara/FMG Orgeni,A.3 © Archiv fmg


Zu Beginn des Briefes bedankt sich Aglaja Orgeni für eine Karte, die Dr. Latzko ihr aus Buenos Aires zugesendet hat. Latzko wurde bei der Reise, von der sie die Karte erhielt, wohl von Georg Wille begleitet, der langjähriger Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle Dresden war. Sie bittet um ein persönliches Wiedersehen in Gesellschaft von Erna Hanfstaengl, ihrer gemeinsamen Freundin, wie sie betont. Außerdem bittet Aglaja Orgeni Dr. Latzko um einen Gefallen, indem sie schreibt: „Glauben Sie mir, lieber Herr Doktor, ich werde Sie nicht immer quälen, aber heute muss ich Ihnen noch eine Herzensbitte vortragen.“ – Bei dieser Formulierung fragt man sich doch, was Aglaja Orgeni so sehr am Herzen lag.

Sie bittet den Musikwissenschaftler darum, sich des Schicksals einer ihrer Schülerinnen anzunehmen. Diese Sängerin wolle Hofkapellmeister Hagen wohl nicht mehr bei sich singen lassen. „Ich bat Hofkapellmeister Hagen flehentlichst es mit ihr noch ein wenig zu versuchen“, aber der habe nun einen Haß auf die Schülerin, wo er doch ihre Stimme einst mochte. Aglaja Orgeni erwähnt ein Missgeschick, was dazu führte, dass die Schülerin nicht mehr in der Kirche sein könne und ihr kranker Vater sie von einem Umzug abhalte. Sie schreibt außerdem, dass das Schicksal dieser Schülerin ihr sehr nahe gehe. So bittet Aglaja Orgeni, dass die Schülerin in den Chor aufgenommen werde, da sie weiter mit ihr arbeiten wolle.

1912 war Aglaja Orgeni bereits vier Jahre Professorin am Konservatorium in Dresden und schien gute Kontakte in die dortige Künstler*innengesellschaft zu haben, was die Berufstitel der genannten Personen im Brief verraten. Außerdem wird deutlich, dass sie sich aber offensichtlich auch erlaubte, diese Personen um einen Gefallen zu bitten. Das im Brief angedeutete Missgeschick der Schülerin bleibt unerklärt, und auch wer sie genau war, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Deutlich wird jedoch, dass Aglaja Orgeni die Umstände, in denen sich ihre Schülerin befand, sehr gut kannte und sich um deren berufliche Laufbahn wie ihr privates Befinden sorgte – ein Hinweis auf eine enge und fürsorgliche Beziehung zwischen Lehrerin und Schülerin. Eine solche Beziehung, die über die professionelle Betreuung einer Gesangsausbildung hinausging, hatte Aglaja Orgeni auch zu ihrer eigenen Gesangslehrerin Pauline Viardot-García, wie zahlreiche Briefwechsel belegen. Anscheinend übernahm sie dieses menschliche Interesse an ihren Schülerinnen für den eigenen Unterricht.

Text: Mareike Röhricht (Studentin im Studiengang Musikwissenschaft und Musikvermittlung und studentische Hilfskraft im fmg)

 
Aglaja Orgeni. Fotograf: Franz Luckhardt, [o. O.], 1870 © Stadtmuseum Dresden

Zuletzt bearbeitet: 06.01.2021

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