November 2020

Regelmäßig werden in der Rubrik „Quelle des Monats“ Raritäten aus dem Bestand des fmg vorgestellt.  Die Exponate konnten dank der Finanzierung durch die Mariann Steegmann Stiftung erworben werden und ergänzen den vielfältigen und einzigartigen Archivbestand des Forschungszentrums. Ausstellungsstücke und Exponatbeschreibungen der vergangenen Monate können links im Menü eingesehen werden.  

„Götterdämmerung abgesagt, heiser, u. doch gesungen, u. gut bei Stimme, 16x gerufen“

Die Quelle des Monats führt uns im November zur Sängerin Therese Vogl (1845–1921). Ihr Operndebüt hatte die in Tutzing geborene Therese Thoma 1865 in Karlsruhe. Ein Jahr später erhielt die als heimatverbunden geltende Sopranistin ein Engagement an der Münchner Hofoper, der sie bis zu ihrem Bühnenabschied im Jahre 1892 treu blieb. 1867 heiratete sie den ebenfalls in München ansässigen Heinrich Vogl (1845–1900) und brachte in den Jahren ihrer Ehe sieben Kinder auf die Welt.

Oftmals standen die Vogls gemeinsam auf der Bühne. Vor allem in ihrer Darstellung von Tristan und Isolde beeindruckte das Paar Publikum und Presse nachhaltig und überzeugte nicht zuletzt auch Richard Wagner, der den Vogls zunächst wenig zugeneigt war. Dass sie aber wesentlich zur Verbreitung und zum Erfolg seiner Opern in und auch außerhalb Münchens beitrugen – etwa durch ihre Mitwirkung bei der Wagner-Wanderbühne von Angelo Neumann –, blieb auch Richard Wagner nicht verborgen. Wie keine andere vermochte es Therese Vogl, die Frauengestalten der Opern Richard Wagners zu verkörpern. Und auch ihr Mann prägte das Ideal eines Wagnersängers: Mit ihrer hohen Bühnenpräsenz und ihrem musikalischen Ausdrucksvermögen schienen beide geradezu prädestiniert für die Rollen, die den Sängerinnen und Sängern enorm viel Kraft abverlangten und sie mitunter an ihre körperlichen Grenzen brachten.

Von der hohen Einsatzbereitschaft und physischen Belastbarkeit, die Therese Vogl zu eigen gewesen sein muss, gibt auch das Dokument einen Eindruck, welches sich im Bestand des fmg befindet. Es handelt sich dabei um ein liniertes Notizbuch, in dem für die Jahre 1865 bis 1884 alle Opernaufführungen Therese Vogls mit der Angabe von Datum und jeweiliger Rolle aufgelistet wurden. Darüber hinaus hielt Therese Vogl in ihrem Buch fest, wie es um die Einnahmen bestellt war. Dabei führte sie ihre Gage, das heißt ihr kontraktlich festgesetztes Gehalt, sowie das Spielgeld bzw. Spielhonorar auf, welches ihr pro Aufführung zustand und je nach Rolle anders ausfallen konnte. Die Aufführungen von Therese Vogl wurden durchnummeriert, sodass sie am Ende eines jeden Jahres angeben konnte, wie oft sie in München auf der Bühne gestanden hatte. Auswärtige Aufführungen oder Konzerte wurden zwar aufgelistet, aber aus der jährlichen Bilanz über Anzahl von Aufführungen und Höhe der Einnahmen ausgenommen bzw. einzeln aufgeführt.

Notizbuch von Therese Vogl, [o.O.] 1865–1884. Einträge im Oktober 1867 und von Januar bis Mai 1868. Signatur: Rara/FMG Vogl,T.1 © Archiv fmg


Recht zu Beginn ihrer Karriere hielt Therese Vogl Folgendes fest: „Im Jahre 1867 45mal gesungen, u. hatte bis 1ten Oktb. 1867 1200fl [Gulden] Gage u. 5fl Spielhonorar. Vom 1ten Oktb. an habe ich 2400fl u. 15fl Spielgeld. Während diesem Jahr verdiente ich mir 400fl für 2mal die Ortrud im Lohengrin zu singen, u. ein schönes Armband von seiner Majestät dem König Ludwig der IIte.“ Mit den Jahren und wachsender Bekanntheit stieg auch das Gehalt. Für das Jahr 1875 notierte Therese Vogl als Gage einen Betrag von 5000fl, als Spielhonorar standen ihr 50fl zu, sodass sie zusammen mit weiteren Einnahmen am Ende einen Jahresverdienst von 9125fl verzeichnen konnte.

Zu den Rollen, die Therese Vogl in all den Jahren verkörperte, in denen sie das Buch führte, gehörten neben der bereits erwähnten Ortrud aus Richard Wagners Lohengrin auch Partien aus Opern anderer Komponisten: So sang sie etwa die Elvira (W.A. Mozarts Don Giovanni), Leonore (L.v. Beethovens Fidelio) oder Agathe (C.M.v. Webers Freischütz). Immer wieder waren es aber Bühnenwerke von Richard Wagner, in denen Therese Vogl in München in Erscheinung trat, etwa als Venus bzw. Elisabeth (Tannhäuser), Isolde (Tristan und Isolde), Sieglinde (Walküre), Wellgunde (Rheingold) und als Brünnhilde (Siegfried, Walküre, Götterdämmerung). Um das Pensum von den bis zu zehn Opernaufführungen pro Monat schaffen zu können, standen Therese Vogl im Jahr ein bis zwei Monate Urlaub zu, den sie, wie sich ihren Aufzeichnungen entnehmen lässt, zumeist in den Sommermonaten nahm. Dass Therese Vogl für ihren Beruf und vor allem für die Darstellung der anspruchsvollen Wagnerfiguren durchaus genug Kraft besaß, lässt sich auch daran erkennen, dass sie ihren Aufzeichnungen zufolge in all den Jahren nur sehr selten krank war und kaum eine Aufführung absagen musste. Im Grunde stand Therese Vogl seit ihrem Debüt mit 20 Jahren fast ausnahmslos auf der Bühne – das lässt sich zumindest für die 19 Jahre festhalten, die ihre Notizen umfassen. Es gab offenbar nur wenige Gründe für Therese Vogl, um nicht aufzutreten:

  •  „Am 22ten Januar [1882] abgesagt wegen Schnupfen“, notierte Therese Vogl, wobei den Aufzeichnungen zu entnehmen ist, dass sie zwei Tage später bereits wieder als Page in Figaros Hochzeit auf der Bühne stand.
  • Für den Juli des Jahres 1876 gibt es lediglich einen Eintrag („den 2ten Constanze [in Luigi Cherubinis] Wasserträger“), gefolgt von Notizen zu Gage und Spielhonorar. Die nächsten Einträge über Opernaufführungen gibt es erst wieder für den Monat September. Ein kurzer, vermutlich nachträglich eingefügter Hinweis mag diese Bühnenpause, die offenbar auch eine Babypause war, erklären: „Richard geboren“.
  • Therese Vogl war nicht nur eine überragende Sängerin, sondern auch als gute und wagemutige Reiterin bekannt. Für ihre Darstellung der Brünnhilde nutzte sie dieses Talent und setzte das Publikum in Erstaunen, als sie auf einem ungesattelten Pferd über die Bühne preschte und über einen Scheiterhaufen sprang. Ende August 1883 musste sie sich leider entschuldigen: „den 29. vom Pferd gestürzt, daher am 30ten Götterdämmerung abgesagt.“
  • Auch am 31. Oktober 1882 sollte Therese Vogl in Berlin die Brünnhilde in der Götterdämmerung verkörpern. Allerdings war sie „heiser“, wie sie notiert, und die Aufführung wurde „abgesagt“. Aber nein! In diesem Fall nahm sie die Absage zurück: „u. doch gesungen, u. gut bei Stimme, 16x gerufen.“
Notizbuch von Therese Vogl, [o.O.] 1865–1884. Eintrag im Oktober 1882: „u. doch gesungen, u. gut bei Stimme, 16x gerufen“. Signatur: Rara/FMG Vogl,T.1 © Archiv fmg


Text: Viola Herbst (Doktorandin und Projektmitarbeiterin im Forschungszentrum Musik und Gender)

Fotos: Anne Fiebig

 
Kostümporträt von Therese Vogl in der Rolle der Isolde in Wagners Oper „Tristan und Isolde“, Berlin, Fotoatelier Naumann & Schröder, 1884. Signatur: Rara/FMG Wagner,R.1 © Archiv fmg
Fotografie von Therese und Heinrich Vogl zusammen mit zwei ihrer Töchter, [o.O., um 1875?]. Signatur: Rara/FMG Vogl,HT.1 © Archiv fmg

Zuletzt bearbeitet: 06.01.2021

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