April 2021

Ein Denkmal in Tönen – Franz Liszts erste Elegie

Titelblatt der "Élégie" von Franz Liszt für Violoncello und Klavier mit Widmungen an Madame Marie Moukhanoff und Sophie Menter-Popper. Leipzig: C. F. Kahnt, [1875]. Signatur: Rara/FMG NO Liszt,F (617.20).1 © Archiv fmg


Bei der Betrachtung des Titelblatts von Franz Liszts erster Elegie fällt zuerst die selbst für Verhältnisse des 19. Jahrhunderts aufwändige grafische Gestaltung auf: verschiedenste Schriftarten, Kränze, die sich über die ganze Seite erstrecken, oben zwei weinende, abgewandte Engel. Der Titel „Élégie de F. Liszt“ prangt in der Mitte auf einer an den Enden vielfach eingerollten Pergamentrolle; selbst die formalen Informationen, also der Name des Verlages und die vier verschiedenen Besetzungen, in denen das Werk im Druck erschien, sind auf zwischen den Zweigen eingebetteten Pergamentstreifen in kunstvoller Weise in die Gesamtgestaltung des Titelblatts integriert. Im Hintergrund könnte man eine stilisierte bewaldete Berglandschaft erkennen, und hoch oben zwischen den Engeln wurde in geschwungenen Buchstaben der von den Kränzen eingerahmte Name der Widmungsträgerin platziert: Madame Marie Moukhanoff. Selbst an ihrem Mädchennamen, der etwas kleiner und in weniger auffälliger Schrift darunter steht, wurde auf dem Titelblatt nicht gespart.

Unter dem Gesichtspunkt, dass das Werk dem Andenken einer kürzlich zuvor Verstorbenen gewidmet ist – „En mémoire de Madame Marie Moukhanoff, née Comtesse Nesselrode“ – und dem Titel des Werks ist unverkennbar, dass ihr Tod untrennbarer Bestandteil der Gesamtkonzeption des Werks ist; die Zueignung war nicht nur eine Form der Ehrerbietung und ein öffentliches Bekenntnis, sondern auch ein zentraler Inhalt des Werks, der ausschlaggebend für dessen Entstehung war.

Eine Widmung „En mémoire“ ist insofern eine Sonderform der Widmung, als dass Begriffe wie „gewidmet“ oder „zugeeignet“ bzw. deren französische Entsprechungen gar nicht explizit vorkommen. Lediglich die typische Art der Eingliederung des Namens auf dem Titelblatt lässt erkennen, dass eine Verwandtschaft zur Tradition einer klassischen Widmung besteht; diese spezielle Form rückt die Person aber noch stärker in den Vordergrund und stellt sie an die Schwelle dahin, ein Bestandteil des Titels zu werden. Noch stärker unterstrichen wird diese Intention durch die Gestaltung des Titelblatts, das durch die eindeutig auf den Inhalt der Zueignung bezogene grafische Gestaltung (es wäre interessant zu erfahren, wie weit Liszt selbst daran beteiligt war!) Elemente von Titel- und Widmungsblatt in sich vereinigt. Zu der Zeit, in der die Elegie komponiert wurde, waren separate Widmungsblätter bereits eine Seltenheit und existierten nur noch dann, wenn sie an den Hochadel gerichtet waren. Auch wenn Marie Moukhanoff diese Ehre hier nicht zuteilwurde, wollte Liszt (bzw. unter Umständen auch sein Verleger) diese Widmung über die Synthese von Widmungs- und Titelblatt stärker hervorheben, als dies üblicherweise der Fall gewesen wäre.

„En mémoire“ ist hier nicht nur gleichbedeutend mit dem deutschen „In Gedenken an“, also eine Art, die persönlichen Gefühle von Trauer und seine Beziehung zur Widmungsträgerin durch Kunst kundzugeben, sondern auch mit „Zur Erinnerung / zum Erinnern an“, also in der Intention, eine Person vor dem Vergessen durch die Nachwelt zu bewahren. Dass ein Werk eine solche Funktion erfüllte, war keine Besonderheit: Wer außer einigen Spezialistinnen und Spezialisten wüsste ohne entsprechende Widmungen Beethovens etwa noch von Giulietta Guicciardi oder dem Grafen von Waldstein? Doch hier war dies auch ein Teil der Intention, und es ist nicht auszuschließen, dass das Bewahren vor dem Vergessenwerden bis in die Bedeutungsebenen der Musik selbst hineinreicht. Für den späteren Liszt wäre das zumindest nicht untypisch: Die etwa zehn Jahre später vollendeten Historischen ungarischen Bildnisse gelten beispielsweise alle sieben je einer verstorbenen Persönlichkeit, so wie auch Dem Andenken Petöfis und Am Grabe Richard Wagners (nicht, dass es letzterer nötig gehabt hätte!).

Erste Notenseite der Klavierpartitur und der Stimme für Violoncello der "Élégie" von Franz Liszt. Leipzig: C. F. Kahnt, [1875]. Signatur: Rara/FMG NO Liszt,F (617.20).1 © Archiv fmg


Auf diesem Exemplar der Fassung für Cello und Klavier im Notenbestand des FMG ist auf dem Titelblatt zusätzlich noch eine handschriftliche Widmung eingetragen: „Sophie Menter Popper – F. Liszt Leipzig Sept. 75.“ Wie konnte also Liszt, der diese Komposition so eindeutig einer bestimmten Person zugedacht hatte, auf einmal wenige Monate später eine Widmung an eine andere vergeben?

Hier zeigt sich, wie grundlegend im 19. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen handschriftlichen und gedruckten Widmungen war. Während sich eine in der Regel auf dem Titelblatt abgedruckte Zueignung auf die Übereignung des einmaligen, ideellen Wertes eines Werks bezog und die Person in Beziehung zu dessen Bedeutungsebenen stellen konnte, galt eine handschriftliche Widmung in der Regel einem als Geschenk überreichten materiellen Exemplar, das durch die Signatur einer wichtigen Persönlichkeit auch noch an materiellem Wert gewinnen konnte. Eine solche Widmung berührte nicht nur die gedruckte, ideelle Widmung in keinster Weise, sondern konnte auch vielen unterschiedlichen Personen von vielen unterschiedlichen Personen (nicht nur dem Komponisten selbst) vergeben werden.

Handschriftliche Widmung von Franz Liszt für Sophie Menter-Popper auf dem Titelblatt der "Élégie" von Franz Liszt für Violoncello und Klavier. Leipzig: C. F. Kahnt, [1875]. Signatur: Rara/FMG NO Liszt,F (617.20).1 © Archiv fmg


In diesem Fall ist die handschriftliche Widmung an Sophie Menter-Popper gerichtet, eine Klavierschülerin Liszts, die zum Zeitpunkt der Widmung seit drei Jahren mit dem noch heute für seine Etüdenwerke bekannten Cellisten David Popper verheiratet war. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht erstaunlich, dass es sich bei diesem Exemplar gerade um die Fassung für Cello und Klavier handelt; die Schenkung und Widmung des Exemplars sind wohl auch als eine Anregung oder sogar implizite Aufforderung zu verstehen, das Werk in ihr Repertoire aufzunehmen. Dies kann man auch vor dem Hintergrund sehen, dass Liszt zu diesem Zeitpunkt seine eigene aktive Konzertkarriere als Klaviervirtuose längst beendet hatte und zur Verbreitung seiner Werke auf andere Interpreten angewiesen war; schließlich erschien die Elegie in nicht weniger als vier verschiedenen Besetzungen, und es ist gut denkbar, dass Liszt bereits bei der Komposition der Cellofassung das Ehepaar als Interpreten angedacht haben könnte. Insofern würde diese Widmung über das hinausgehen, was üblicherweise für eine handschriftliche Widmung galt: nämlich, dass sie sich über das zugeeignete Exemplar hinaus auch auf das Werk selbst erstreckt – da es sich um zwei völlig unterschiedliche Aspekte des Werks handelt, müssten beide Widmungen sich ja keinesfalls ausschließen. Gedruckte Zueignungen für Interpreten, denen ein Werk zugedacht war, waren zu dieser Zeit jedenfalls nicht unüblich; so widmete etwa Cesar Franck seine Violinsonate dem Geiger Eugène Ysaÿe, der diese Sonate häufig und mit großem Erfolg spielte. Falls dies der Fall gewesen sein sollte, so musste Liszt diese Art der Widmung deshalb privat halten, da er bereits eine in enger Verbindung zum Werk stehende Widmungsträgerin hatte, auf deren öffentliches Andenken durch diese Komposition er Wert legte.

Das Titelblatt der Elegie zeigt uns dadurch zunächst einmal sehr klar die Unterschiede zwischen der handschriftlichen und der gedruckten Widmung im 19. Jahrhundert; gleichzeitig zeigt es aber auch, wie die starr anmutenden Konventionen für verschiedene Arten von Widmungen Komponisten gerade auch die Möglichkeiten dazu gaben, hierüber sehr differenzierte Aussagen über ihre Werke, deren Widmungsadressaten und die Beziehung beider zueinander zu treffen.


Text: Felix Schlapmann (Student und Teilnehmer des Seminars „'Hochachtungsvoll zugeeignet' – Widmungen in der Musik" im Wintersemester 2020/2021)


 
Porträt von Sophie Menter-Popper. Fotografie Wegner & Mottu, Amsterdam und Utrecht, o.D. Quelle: mugi.hfmt-hamburg.de/old/A_lexartikel/lexartikel.php%3Fid=ment1846.html

Zuletzt bearbeitet: 03.05.2021

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