Februar 2021

„Ce livre est du choeur de la maison professe“

Erste Notenseite des Chorbuch-Manuskript aus dem späten 17. Jahrhundert © Archiv fmg


Es wird sich lohnen dieses Manuskript im Oktav-Querformat (17,5 x 21,5 cm), das gregorianische Melodien der römisch-katholischen Messe enthält, näher zu erforschen. Für diesen Text war nur eine recht kurze Beschäftigung möglich, die deutlich mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
Da das Inhaltsverzeichnis und die wenigen begleitenden Texte in französischer Sprache verfasst sind und das sechste Stück der Sammlung als „Credo de Paris“ betitelt ist, habe ich eine kurze Recherche nach vergleichbaren Handschriften in den Digitalisaten der Bibliothèque nationale de France (BnF) begonnen, die eine Handschrift mit frappierenden Ähnlichkeiten offenbarte: VM1-957 (Digitalisat: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b53019383d) mit Messen für verschiedene Feste des (Kirchen )Jahres („Messes pour différentes fêtes de l'année“), ebenfalls im Oktav-Querformat (16,5 x 21,5 cm), datiert auf den Zeitraum 1680-1740. Beide Handschriften sind am oberen Rand sehr knapp beschnitten, durchgehend original paginiert, mit schwarz-brauner Tinte geschrieben und rubriziert (das heißt die Kopfzeilen und Benennungen der Messteile sind mit roter Tinte hervorgehoben). Sowohl die Notationsweise als auch die Schreibhand des Textes ähneln sich extrem, mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um dieselbe Schreibhand. Beide Handschriften tragen auf der Rückseite des Vorblattes den Hinweis „Ce livre est du choeur de la maison professe“ (Dieses Buch gehört dem Chor des Ordenshauses) und beide enthalten – an unterschiedlicher Stelle – die Bitte „Prie pour Dieu celle qui l'a faict ne l'oublie pas“ (Handschrift der BnF, S. 14) bzw. „Priez Dieu Pour celle qui la fait“ (Handschrift des fmg, Vorsatzblatt) (zu Deutsch in etwa „Bete zu Gott für diejenige, die dies gemacht hat; vergiss es nicht“). Nach dem Inhaltsverzeichnis enthält die Handschrift der BnF zudem die Randnotiz „Soeur de Sainte croix“ (Schwester des Heiligen Kreuzes). Die Schreiberin ist also eindeutig eine Frau und gehörte möglicherweise dem Couvent de Sainte-Croix-de-la-Bretonnerie in Paris an, einem Kanonissenorden des Heiligen Kreuzes. Wofür das Monogramm „CM“ auf den ledernen Einbanddeckeln der Handschrift des fmg steht, gilt es noch herauszufinden. Dass es ein Verweis auf einen Magdalenenorden ist (Congrétation de Sainte Madeleine) würde nicht zur „Soeur de Sainte croix“ passen. Somit bleiben zum Entstehungskontext noch viele Fragen offen: Wo, wann und von wem genau wurden die Handschriften verfasst?

Hinweis „Ce livre est du choeur de la maison professe“ (Dieses Buch gehört dem Chor des Ordenshauses) auf der Rückseite des Vorsatzblattes des Chorbuch-Manuskripts © Archiv fmg


Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Handschriften deutlich, es gibt aber auch Überschneidungen, so dass wir es nicht mit komplementären Handschriften zu tun haben: Während die Handschrift des fmg Messen zu Heiligenfesten (darunter auffallend viele weibliche Heilige), die Totenmesse und eine Reihe von Votivmessen enthält, besteht die Handschrift der BnF aus einer Mischung aus Messen zu Festtagen (Weihnachten, Pfingsten etc.), Heiligenfesten, der Totenmesse und einer Votivmesse. Der Vergleich zweier Messen, die in beiden Handschriften enthalten sind, zeigt leichte Abweichungen, die verhindern, dass aus beiden Handschriften gleichzeitig musiziert wurde: Vorzeichen werden unterschiedlich gesetzt oder ganze Zeilen ausgelassen. Die schlichte, zweckmäßige Gestaltung mit originaler Paginierung und Inhaltsverzeichnis weist aber deutlich darauf hin, dass die beiden Handschriften für den Gebrauch während der Messe gemacht wurden.

Text: Katharina Talkner (Mitarbeiterin im Projekt Erschließen, Forschen, Vermitteln)

 

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Zuletzt bearbeitet: 03.05.2021

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