Juni 2021

„Sichtvermerk zur Ausreise nach Holland, Zwecks Singen“

Rollenporträts der Sängering Edyth Walker, [o.O.] 1903. Quelle: Sport und Salon. Illustrirte Zeitschrift für die vornehme Welt, 6. Jg., Nr. 19, Wien-Budapest, 9.5.1903, S. 19.


Zur Berufswirklichkeit von Musikerinnen und Musikern gehört immer auch ein gewisses Maß an räumlicher Mobilität: um ihre Karriere voranzubringen sind sie mitunter international unterwegs. Das lässt sich auch am Beispiel der Sängerin Edyth Walker verdeutlichen.

Edyth Walker wurde am 27. März 1867 in Hopewell geboren, einer Kleinstadt im amerikanischen Bundesstaat New York. Nachdem sie einige Jahre als Sängerin in der Region aufgetreten war, ermöglichte es ihr ein Stipendium, nach Deutschland zu reisen, wo sie 1891 ein Gesangsstudium aufnehmen konnte. Am 7. Dezember 1893 hatte die damals 26-jährige Sängerin ihr Konzertdebüt im Gewandhaus zu Leipzig. Die Zeitschrift Signale für die musikalische Welt stellte hierzu fest: „Der Gesangsgast des Concertes – Fräulein Edyth Walker aus New=York – ist, wie wir hören, eine Schülerin des Fräulein [Aglaia] Orgeni aus Dresden, und steht am Beginn ihrer Carrière. Sie hat ihre Studienzeit wohlbenutzt und sich eine sehr gute Verwendung ihrer Stimmittel und überhaupt eine tüchtige gesangstechnische Ausbildung zu eigen gemacht; zudem ist ihr Organ – ein Mezzosopran – umfangreich, klangschön und ausgiebig (wie trotz der ersichtlichen Belegtheit zu bemerken war), und ihr Vortrag entbehrt nicht der Intelligenz und Wärme.“ (51. Jg., Nr. 65, Dezember 1893, S. 1027)

Im folgenden Jahr betrat Edyth Walker auch die Opernbühne und überzeugte zunächst in Berlin als Fidès in „Le Prophète“ von Giacomo Meyerbeer. In London gab sie 1900 ihr Bühnendebüt mit der Rolle der Amneris aus Giuseppe Verdis „Aida“ und trat dort im selben Jahr in verschiedenen Wagner-Opern in Erscheinung. Zwischen 1895 und 1903 war Edyth Walker Mitglied an der Wiener Hofoper, ging aber nach einem Zerwürfnis mit Gustav Mahler und dem Abbruch ihres Vertrages für einige Zeit nach Amerika. An der Metropolitan Opera in New York übernahm Edyth Walker, die ursprünglich als Mezzosopranistin ausgebildet und als solche bekannt geworden war, nun auch Sopranrollen wie etwa die der Brünnhilde aus Richard Wagners „Walküre“. Zu ihrem Repertoire gehörten fortan sowohl Mezzosopranrollen wie die Partie der Ortrud aus dem „Lohengrin“ und der Kundry aus „Parsifal“, welche sie 1908 in Bayreuth zum Besten gab, als auch Sopranrollen. Ihre Darbietung der Isolde (Sopran) im Londoner Covent Garden im selben Jahr war dermaßen überzeugend, dass sie als eine der besten Wagner-Interpretinnen gilt, die jemals dort aufgetreten sind. Zwischen 1912 und 1917 war Edyth Walker an der Oper in München engagiert. Gastspiele führten sie in verschiedene Städte in ganz Europa. Kurzum: Das Leben der Sängerin Edyth Walker war geprägt von räumlicher Mobilität, und die beruflichen Stationen lesen sich so, als hätte es für sie keine Grenzen gegeben.

Erste und letzte Seite des Briefes von Edyth Walker an das Königliche Polizeipräsidium zu Köln, Wiesbaden, 15. April 1917. Signatur: Rara/FMG Walker,E.1 © Archiv fmg


An dieser Stelle kommt nun die Quelle des Monats ins Spiel. Es handelt sich dabei um ein Schreiben, welches Edyth Walker am 15. April 1917 aufgesetzt hatte. Sie befand sich seinerzeit in einem Hotel in Wiesbaden und wollte nach Holland reisen. Das Deutsche Reich befand sich im Krieg, was aber nicht bedeutete, dass es nicht möglich war, die Reichsgrenzen zu überschreiten. Edyth Walker brauchte dafür ein Visum. Sie wandte sich mit ihrem Schreiben also an das Königliche Polizeipräsidium zu Köln und ersuchte dieses „um die Erteilung eines Sichtvermerkes zur Ausreise nach Holland, Zwecks Singen in d. Deutschen Oper in Amsterdam & Haag.“ Des Weiteren bat sie das Präsidium „den Antrag sofort an das Auswärtige Amt, welches vollständig über die Sache orientiert ist, weiter zu leiten.“ Die Bearbeitungsvermerke vom 17. April 1917 auf der Rückseite des Briefes zeigen, dass dem Gesuch von Edyth Walker ohne Einwände seitens des Polizeipräsidenten und des Kriminalpolizeiinspektors entsprochen wurde („Bedenken sind nicht zu erheben“).

Bearbeitungsvermerke vom 17. April 1917 auf der Rückseite des Briefes von Edyth Walker an das Königliche Polizeipräsidium zu Köln, Wiesbaden, 15. April 1917. Signatur: Rara/FMG Walker,E.1 © Archiv fmg


Edyth Walker konnte also in die Niederlande ausreisen, die im Ersten Weltkrieg zu den neutralen europäischen Staaten gehörten, und unter anderem im Juni 1917 in Amsterdam in einer Aufführung des „Parsifal“ als Kundry mitwirken. Edyth Walker kehrte unmittelbar danach allerdings nicht wieder zurück, sondern wohnte bis 1919 in Scheveningen in Holland. Für einige Auftritte reiste die Sängerin aber doch noch ins Deutsche Reich. So konnte man sie beispielweise im April 1918 in München als Konzertsängerin hören, wobei sich allerdings ein Ende der Gesangskarriere der damals 51-jährigen anzudeuten schien - „Bei Edyth Walker musste man leider beobachten, dass die Zeit nicht spurlos an dieser Stimme vorübergegangen. Ihr Gesang bleibt aber ein überzeugender Beweis von dem ungewöhnlichen Können und der vollendeten Vokaltechnik dieser Künstlerin“, vermeldeten die Signale (76. Jg., Nr. 16, 17.4.1918, S. 322). Sie verabschiedete sich 1918 von der Bühne, um fortan vor allem als Gesangslehrerin zu arbeiten. 1919 zog Edyth Walker nach Paris, wo sie zwischen 1933 und 1936 am American Conservatory in Fontainbleau unterrichtete. Ab 1936 lebte sie in New York, wo sie 1950 starb.

Text: Viola Herbst (Mitarbeiterin im Projekt Erschließen, Forschen, Vermitteln)

 
Fotografie von Edyth Walker. Foto: E. Bieber, Hoffotograf Hamburg und Berlin. Verlag Hermann Leiser Berlin. [o.D.]. Quelle: archive.org/details/4106johannesbischoffhollanderekk/4175%20Walker%2C%20Edith%20%20%28100%29.jpg

Zuletzt bearbeitet: 01.07.2021

Zum Seitenanfang