April 2022

Frieda Schwabe, Wagners Frauengestalten und das „Ewig Weibliche“

Titelseite des Buches "Die Frauengestalten Wagners als Typen des 'Ewig Weiblichen'" von Frieda Schwabe. - München : Bruckmann, [1902]. Signatur: Rara/FMG Biog Wagner,R 9.5 © Archiv fmg


Seit ihrer Entstehung blicken Wagners weibliche Bühnenfiguren auf eine rege Rezeptionskultur zurück. Bereits ein Jahr nach der Uraufführung von Wagners letztem Musikdrama Parsifal 1882 erschien eine Reihe von Publikationen, die die sogenannten „Frauengestalten“ aus seinem Opernoeuvre als Sujet nahmen (bspw. Richard Gosche, Richard Wagner’s Frauengestalten, Leipzig 1883, Signatur: Rara/FMG Biog Wagner,R 9.3). Allen gemein ist, dass sie ein inhärentes Frauenbild in den jeweiligen Figuren zu eruieren suchen, wodurch ihre Rezeptionen stets auch zeitgenössische Geschlechterbilder spiegeln. Die Quelle des Monats April greift eine solche Buchquelle auf und fokussiert Frieda Schwabes Die Frauengestalten Wagners als Typen des „Ewig Weiblichen“ von 1902. Dabei sollen weniger die Bühnenfiguren selbst als die der Autorin eigene Perspektive in den Blick genommen werden. Denn die Quelle besticht vor allem darin, dass sie Aufschluss über die Sichtweise einer Musikschriftstellerin und ihren Rezeptionskontext geben kann.

Erste Indizien hierfür finden sich im kurzen Widmungstext der Autorin, der sich wie folgt liest:

Hertha Ritter in innigster Liebe und Treue zugeeignet


Während die Schriftstellerin Frieda Schwabe bislang nahezu unerforscht geblieben ist, lässt sich über ihre Widmungsträgerin einiges mehr in Erfahrung bringen: Die Sängerin und Wagner Interpretin Hertha Ritter (1873–1913) bewegte sich als Tochter des Komponisten Alexander Ritter (1833–1896) und der Schauspielerin Franziska Wagner (1830–1895, Nichte R. Wagners) sowie als spätere Ehefrau des Dirigenten Siegmund von Hausegger (1872–1948) lebenslang in einem durch die Neudeutsche Schule geprägten musikkulturellen Kontext. Vor diesem Hintergrund suggeriert die Widmung, dass Schwabe eine leidenschaftliche Verehrerin der Sängerin und insbesondere ihrer Wagner Interpretationen gewesen sein muss. Es kann vermutet werden, dass letztere als wichtige Inspirationsquelle für Schwabes Analysen der Wagnerschen Frauengestalten in diesem Buch fungierten.

Mit Blick auf den inhaltlichen Aufbau hebt sich Schwabes Studie von Vorgängerpublikationen ähnlichen Gegenstands (siehe u.a. Gosche 1883) sichtlich ab. Anstelle der typischerweise chronologisch gewählten Anordnung der Figuren nach Uraufführungsjahr, entwickelt Schwabe ihre eigene Dramaturgie der Bühnenfiguren: Das erste Kapitel fokussiert Elsa aus Wagners Lohengrin von 1850 gefolgt von Kapiteln zu Brünnhilde (Die Walküre, 1870), Senta (Der Fliegende Holländer, 1843), Elisabeth (Tannhäuser, 1845), Kundry (Parsifal, 1882), Isolde (Tristan und Isolde, 1865) mit einem abschließenden Kapitel zu Eva Pogner (Die Meistersinger von Nürnberg, 1868).

Inhaltsverzeichnis des Buches "Die Frauengestalten Wagners als Typen des 'Ewig Weiblichen'" von Frieda Schwabe. - München : Bruckmann, [1902]. Signatur: Rara/FMG Biog Wagner,R 9.5 © Archiv fmg


Mit ihrer nicht-chronologischen Gliederungsweise positioniert sich Schwabe zum einen implizit entgegen vorherigen Arbeiten, zum anderen lässt sie hier ein tieferliegendes Argument durchschimmern. Es stellt sich die Frage: Worin liegt die nicht-chronologische Anordnung der Bühnenfiguren begründet? Welcher Logik folgt stattdessen der originelle Aufbau ihrer Analysen?

Um es an dieser Stelle vorwegzunehmen: Die Quelle des Monats kann aufgrund ihrer räumlichen und zeitlichen Begrenzung keine zufriedenstellende Antwort auf diese Fragen liefern. Ihr Ziel kann deshalb nur lauten, zur weiteren Auseinandersetzung mit der Buchquelle anzuregen und einige Perspektiven hierfür zu eröffnen. Als erster Ansatzpunkt, um den inhaltlichen Aufbau genauer zu ergründen, kann das Vorwort der Autorin herangezogen werden, welches der Transparenz halber hier vollständig wiedergegeben ist:

"Diese Aufzeichnungen bieten an sich nichts Neues und mögen daher manchem überflüssig scheinen. Dasselbe, was darin gesagt ist, mag tausend und aber tausendmal von andern ebenso intensiv empfunden worden sein. Das einzige Neue wäre vielleicht der Ausdruck des Empfindens vom rein weiblichen Standpunkt aus, als ein Bekenntnis, wie es nur ein Weib in dieser Sache geben kann. Alle Frauen haben ganz dasselbe Innere; daher das „Ewig Weibliche“. Das Nebeneinander stellen vieler scheinbar entgegengesetzter Frauengestalten lockt unwiderstehlich zum Untersuchen, warum wir denn die heterogensten Weibcharaktere alle als echt weiblich empfinden können und warum gerade in der Natur des Weibes so entgegengesetzte Äußerungen ein und desselben Grundwesens beding sind. – Das Allen Gemeinsame, „dasselbe Innere“, - das „Ewig Weibliche“ der Frauen des Wagnerwerks herauszufühlen und darzulegen, ist die Aufgabe dieser Erörterungen."

 

Auffällig ist gleich zu Beginn die Bescheidenheit, mit der Schwabe als Autorin vor ihre Leser*innen tritt. Sie nutzt das Vorwort zur Verortung ihrer eigenen Schreibperspektive als Frau, die gleichzeitig Aufschluss über das ihrer Studie zugrunde liegende Frauenbild bietet. Unter der Prämisse eines essentialisierenden, binären Geschlechterbilds vollzieht Schwabe ihre „Erörterungen“ mit dem Ziel dasjenige zu eruieren, was allen weiblichen Bühnenfiguren des Wagnerschen Oeuvres gemein ist. Hieraus leitet sie die Fragestellung ab, weshalb „scheinbar entgegengesetzte[] Frauengestalten“ bzw. „die heterogensten Weibcharaktere alle als echt weiblich“ empfunden werden können.

Mit Rückblick auf die von ihr gewählten Gliederung erscheinen Schwabes Ausführungen zum „Ewig Weiblichen“ jedoch nicht ganz widerspruchsfrei: Während die Autorin in ihrem Vorwort schreibt, dass die „scheinbar entgegengesetzte[n] Frauengestalten“ in ihrem Inneren alle einen gemeinsamen Kern des „Ewig Weiblichen“ tragen, bewirkt der Aufbau entlang nicht chronologischer Parameter eine dezidierte Abhebung der einzelnen Figuren voneinander. In meiner Lesart der Quelle impliziert die bewusste Positionierung der Frauenfiguren innerhalb einer bestimmten Reihenfolge eine gewisse Wertung, wenn nicht sogar hierarchische Abstufung derselben. Allerdings führt die Autorin selbst die Hintergründe ihres Gliederungskonzepts nicht weiter aus.

Es lässt sich somit abschließend nur die Hypothese aufstellen, dass Schwabes Studie eine sukzessive Steigerung verfolgt, die schließlich in der scheinbar ‚vollkommensten‘ aller Frauenfiguren mündet – Eva Pogner. Inwiefern die Positionierung Evas am Ende der Abhandlung darauf hindeutet, dass Schwabe sie als eine Art Inbegriff des „Ewig Weiblichen“ konzeptualisiert, muss Gegenstand zukünftiger Untersuchungen bleiben. Ebenso vielversprechend erscheint in diesem Zusammenhang die weitere Kontextualisierung der Publikation innerhalb zeitgenössischer Geschlechterdiskurse um 1900.

Text: Felisa Mesuere (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungszentrum Musik und Gender)

 
Kostümporträt der Sängerin M. Mallinger in der Rolle der Elsa in Wagners Oper "Lohengrin", Berlin, Fotoatelier Naumann & Schröder, 1884. Signatur: Rara/FMG Wagner,R.1 © Archiv fmg
Kostümporträt der Sängerin Hedwig Reicher-Kindermann in der Rolle der Brünhilde in Wagners Oper "Die Götterdämmerung", Berlin, Fotoatelier Naumann & Schröder, 1884. Signatur: Rara/FMG Wagner,R.1 © Archiv fmg
Kostümporträt der Sängerin Rosa Sucher in der Rolle der Eva in Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg", Berlin, Fotoatelier Naumann & Schröder, 1884. Signatur: Rara/FMG Wagner,R.1 © Archiv fmg

Zuletzt bearbeitet: 12.10.2023

Zum Seitenanfang