August 2022

Regelmäßig werden in der Rubrik „Quelle des Monats“ Raritäten aus dem Bestand des fmg vorgestellt. Die Exponate konnten dank der Finanzierung durch die Mariann Steegmann Stiftung erworben werden und ergänzen den vielfältigen und einzigartigen Archivbestand des Forschungszentrums. Ausstellungsstücke und Exponatbeschreibungen der vergangenen Monate können links im Menü eingesehen werden.

Archivmaterial hörbar machen - Sophia Corri-Dusseks "Sonata, for the Piano Forte or Harpsichord, With an Accompaniment for a Violin or Germ. Flute, Dedicated to Miss Cornelia Collins, No.1"

Die aktuelle Quelle des Monats steht im Zeichen der diesjährigen studentischen Ausstellung, welche im Rahmen der internationalen und interdisziplinären Tagung „(Wahl-) Verwandtschaften: Gemeinschaftliches kulturelles Handeln“ am Forschungszentrum Musik und Gender eröffnet wurde. Im Fokus der Ausstellung stehen vier Frauen: Clara Schumann, Fanny Hensel, Ida Marie Lipsius und Sophia Corri-Dussek. Der Blick auf die kollaborativen Strukturen dieser musikschaffenden Frauen in der Musikgeschichtsschreibung zeigt eine deutliche Kohärenz: Die Quellenlage ist direkt abhängig von den kulturell akzeptierten männlichen (Wahl-)Verwandtschaften.

Der Fokus liegt auf Sophia Corri-Dussek und der im Rahmen der Ausstellung angefertigten Aufnahme ihrer "Sonata, for the Piano Forte or Harpsichord, With an Accompaniment for a Violin or Germ. Flute, Dedicated to Miss Cornelia Collins, No.1"

 

Sophia Corri Dussek, o.O., o.D. de.wikipedia.org/wiki/Sophia_Corri.

 

Die Sängerin, Pianistin, Harfenistin und Komponistin Sophia Corri-Dussek wurde am 1. Mai 1775 in Edinburgh geboren. Ihr familiäres Umfeld setzte sich aus einflussreichen und erfolgreichen Musiker:innen zusammen und durch ihre Heirat mit dem 15 Jahre älteren Komponisten und Pianisten Johann Ladislaus Dussek ergänzte die damals 17-Jährige ihre Umgebung um eine weitere einflussreiche Musiker:innenfamilie. Corri-Dussek komponierte primär für Harfe und Klavier und kombinierte hierbei ihre beiden Hauptinstrumente auch miteinander – eine ungewohnte Besetzung. Von musikwissenschaftlicher Seite wird vermutet, dass einige der Werke von Sophia Corri-Dussek fälschlicherweise lange ihrem ersten Ehemann Johann Ladislaus Dussek zugeschrieben wurden. Während ihre Werke für Harfe heute noch gespielt werden, sind ihre Werke für Klavier beziehungsweise Cembalo in Vergessenheit geraten. Die Sonate Op. 1 von Sophia Corri-Dussek wurde 1793 vom Verlag Corri, Dussek & Co. in London veröffentlicht. Hierbei ist die begleitende Stimme für Violine oder Flöte nicht mit notiert, da sie gesondert publiziert wurde. Die Sonate besteht aus drei Sätzen – ganz im Sinne einer klassischen Sonate: 1. Allegro, 2. Larghetto Sostenuto, 3. Rondo Vivace Grazioso.

 

„Sonata, for the Piano Forte or Harpsichord, With an Accompaniment for a Violin or Germ. Flute, Dedicated to Miss Cornelia Collins, No.1“ von Sophia Dussek (Klavierstimme), Signatur: Rara/FMG NO Dussek,S (602.20).1 © Archiv fmg.

 

Die Pianistin Byuri Anna Choi und der Geiger Peter Son Goetz haben den ersten Satz der „Sonata, for the Piano Forte or Harpsichord, With an Accompaniment for a Violin or Germ. Flute, Dedicated to Miss Cornelia Collins, No.1“ eingespielt – die erste Aufnahme dieses Werks von Sophia Dussek – und erzählen im Interview von ihrer Arbeit an diesem Werk. Es ist eine neue Aufgabe für die beiden Musiker:innen. Besonders in der Literatur für Klavier und Violine existieren meist sehr viele Aufnahmen von ein und demselben Stück. „Irgendwo finde ich immer eine Referenzaufnahme oder Referenzinterpretation“, erzählt Byuri Anna Choi. Die Zusammenarbeit ist geprägt von einer ungewohnten Freiheit – sie bauen sich einen Assoziationsraum aus einem eigenen Drang nach Kreativität. Es gibt keine Grenzen, nur die Textgenauigkeit. Peter Son Goetz ist sich sicher: „Weniger Vorgaben führten zu einer umso engagierteren Auseinandersetzung mit dem Stück meinerseits“. Sie erlauben den beiden eine engere Bindung zu der Sonate. Allerdings ist nicht nur der Kontext ungewohnt, auch die Rollenverteilung ist neu für die klassischen Musiker:innen. Bei der Klaviersonate mit Begleitstimme für die Geige lässt sich eine bemerkenswerte Verschiebung konstatieren: Wir, als Zuhörer:innen, sind gewöhnt an einen Fokus auf das Melodieinstrument. Diese instinktive Aufmerksamkeit auf die Geige erweist sich jedoch als irreführend, denn in der Geigenstimme liegt nicht die Essenz dieser Komposition. Die Geigenstimme ist eine sehr simpel komponierte Stimme – eine Verdoppelung der ergänzenden Harmonie des Klaviers. „Man könnte fast meinen, es wäre ein leichter Haydn oder Mozart“ meint Peter Son Goetz. Die Harmonien, der Alberti-Bass - Daraus entsteht ein sehr komplementäres, auskomponiertes Zusammenspiel mit der ebenfalls klassischen Form der Klavierstimme. Die beiden sind sich ihrer Verantwortung bewusst: „Wir mussten und wollten etwas Neues daraus schaffen“, denn wenn in nächster Zeit engagierte Musikstudierende die Sonate von Sophia Dussek spielen wollen, werden diese Personen den Titel in die Suchmaschine ihrer Wahl eingeben und diese Aufnahme finden. Peter Son Goetz ist sich sicher, dass Sophia Dussek selbst als Pianistin dachte und das Klavier als Hauptbestandteil sah. Die beiden sind sich einig – Sophia Corri-Dusseks Sonate ist ein Appell an die Zuhörer:innen, den Fokus auf das Zusammenspiel zu legen, denn darin steckt der „Zauber dieser Musik“ sagt Byuri Anna Choi.

 

Bild zur Aufnahme der "Sonata, for the Piano Forte or Harpsichord, With an Accompaniment for a Violin or Germ. Flute, Dedicated to Miss Cornelia Collins, No.1" von Sophia Dussek, Piano: Byuri Anna Choi, Violin: Peter Son Götz, Recording: Cornelia Zöhrer, Detmold 2022: youtu.be/7J8dI3vXY_E.

 

Das Beispiel dieser Aufnahme zeigt, wie durch das Aufarbeiten von Archivmaterialien, die Werke von Komponistinnen die Möglichkeit bekommen sicht- und hörbar zu werden. Die lange etablierten Machtstrukturen männlicher Netzwerke und Selbstbehauptungsstrategien dominieren noch heute die klassische Musikwelt. Dem gegenüber steht die Inszenierung von Beziehungen, welche von weiblich sozialisierten Personen ausgeht. Sophia Corri-Dusseks Biografie steht hierbei beispielhaft für die vermittelnden Möglichkeiten von Musiker:innenfamilien im späten 18. Jahrhundert.

 

Text: Hannah Otto (Studierende des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn)

Die Ausstellung entstand im Rahmen des Seminars "Musik ausstellen“, das im Wintersemester 2021/22 von Dr. Anna Ricke (Musikwissenschaftliches Seminar Detmold/Paderborn) in Kooperation mit Maren Bagge und dem FMG Hannover durchgeführt wurde.

 

 
Sophia Corri-Dussek im Profil, illustriert von Luca Wielage im Rahmen der Ausstellung „(Wahl-)Verwandtschaften" 2022.

Aufnahme der Sonata No. 1 von Sophia Dussek, Piano: Byuri Anna Choi, Violin: Peter Son Götz, Recording: Cornelia Zöhrer www.youtube.com/watch.

Zuletzt bearbeitet: 15.04.2023

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