April 2023

Mathilde Marchesi de Castrone – „Königin der Gesanglehrerinnen“ Ein Brief aus Wien und Erinnerungen an ihr Leben

Brief von Mathilde Marchesi an Hedwig Scheuerlein, Wien, 12.03.1870, Seite 1, Rara/FMG Marchesi,M.1/1 © Archiv fmg


„Dein liebes freundliches Briefchen hat mir große Freude gemacht und wenn ich nicht so rasend beschäftigt wäre, so hätte ich Dir längst geantwortet. Daß es Dir gut geht und Du ein gutes Engagement in Braunschweig hast, freut mich über die Maßen. Bitte schreibe mir doch manchmal und gieb mir Nachricht über Dein künstlerisches Thun u. Lassen! Wie steht es mit Deiner Heirath?“

So beginnt ein handgeschriebener Brief von Mathilde Marchesi an Hedwig Scheuerlein, tituliert als „liebste Hedwig“, datiert mit Wien, 12. März (1870). Fortgesetzt wird dieses Schriftstück am 8. April. Sie erzählt hier von einer „sehr großen Matinée“, an der ihre besten Schülerinnen teilnahmen, von kommenden Theatervorstellungen am Konservatorium, 1812 von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gegründet, heutige Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, an denen einige ihrer Schülerinnen sowie Schüler ihres Mannes unter der Ägide des Sängers, Schriftstellers und Darstellenden Künstlers Josef Lewinsky wie des Komponisten, Dirigenten und Geigers Joseph Hellmesberger, auch künstlerischer Direktor der Musikfreunde in Wien und Leiter des Konservatoriums, beteiligt waren. Gewissermaßen als Postscriptum berichtet sie noch von der Übersetzung des Librettos von Richard Wagners Fliegendem Holländer sowie des Abu Hassan von Carl Maria von Weber für die Londoner Oper, die ihr Mann eben abgeschlossen hatte.

Auch diese Quelle gewährt Einblicke in das gemeinschaftliche musik/kulturelle Handeln von Frauen, diesmal aus dem 19. Jahrhundert. Was heute über soziale Medien in Sekundenschnelle einer Un/Menge von Followern zugänglich gemacht werden kann, musste zur damaligen Zeit in persönlichen Briefen übermittelt werden. Dies, darauf verweist diese Quelle mit ihren beiden Daten, in der knapp bemessenen Zeit einer hochbeschäftigten Sängerin bzw. Gesangspädagogin.

Brief von Mathilde Marchesi an Hedwig Scheuerlein, Wien, 12.03.1870, Rara/FMG Marchesi,M.1/1 © Archiv fmg


Die Revolution 1848 erlebte Mathilde Graumann in Mailand. Irrtümlich für eine Österreicherin gehalten, endete die freundliche Aufnahme, sodass sie sich wieder nach Paris und später nach London begab, wo sie über Charlotte von Rothschild weitere Möglichkeiten der Einführung in die Gesellschaft und damit der Vernetzung erhielt. Ihren eigenen Stil entwickelte sie schließlich vor allem durch die Bel Canto Technik, die sie ins 20. Jahrhundert transferierte sowie durch ihre Schriften zur weiblichen Stimme, mit denen sie Bekanntheit erlangte.

In Weimar und Leipzig fand Mathilde Zugang zu Franz List und seiner Familie sowie der Fürstin von Wittgenstein. In ihren nach den Orten ihres Wirkens strukturierten Erinnerungen trägt eines der Kapitel „Aufenthalt in Holland“ den Untertitel „Meine Verheiratung“. Diese fand im Jahr 1852 mit Salvator Cavaliere di Castrone, Marchese della Rajata, kurz Salvatore Marchesi, Bariton, Gesangspädagoge und Übersetzer, der aus dem italienischen Hochadel stammte und den sie im Zuge von Gesangsaufführungen kennengelernt hatte, statt. Auf Einladung von Ciacomo Meyerbeer in Berlin, verkehrte sie mit der für Frauenrechte eintretenden Schriftstellerin Fanny Lewald. Sie selbst hätte sich, so lässt sie uns in ihren Erinnerungen wissen, damals nach einem ersten Versuch als Stern am Bühnenhimmel glänzen sehen. Doch ein, wie sie es formulierte, energisches Veto ihres Mannes stellte sich ihrem Wunsch nach einer Bühnenlauf entgegen. Weitere Bemerkungen fallen dazu nicht.

Mathilde Marcesi / Mathilde Graumann, o-O., o.D., aus der Österreichische Nationalbibliothek


In Italien verkehrte das Paar bei Gioachino Antonio Rossini und Familie, musste allerdings 1854 vor der Cholera die Flucht antreten. In Wien eröffneten sich Mathilde neue Chancen, da ihr Joseph Hellmesberger die Nachfolge der Stelle der ersten Gesangslehrerin am Konservatorium (Anna Fröhlich) anbot. Ihr Mann konnte die Männergesangsklasse übernehmen. Das Paar blieb sieben Jahre bis Macht- und Loyalitätsprobleme am Hause es veranlasste mit den drei kleinen Töchtern, (zwei Söhne hatte es im Jahr 1857 verloren) nach Frankreich zu wechseln, wo Mathilde ihr künstlerisches Selbstvertrauen durch eine Reihe von erfolgreichen Konzerten und vielversprechenden neuen Kontakten konsolidierte.

Im Kontext der Schilderungen der darauf folgenden Kölner Zeit findet in der Biographie die Erwähnung von Hedwig Scheuerlein, der Adressatin des hier betrachteten Briefes, statt. Diese war eine ihrer Schülerinnen, die mehrere Jahre als erste dramatische Sängerin an der Braunschweiger Hofbühne engagiert war, wie sie in ihren „Erinnerungen“ festhielt. Hedwig Scheuerlein war 1843 in Halle an der Saale geboren worden, nach ihrer Verheiratung, die in der Quelle ebenfalls Erwähnung findet, mit Gustav-Adolph Brandt, Organist, Chorleiter, Komponist sowie Königlicher Musikdirektor, trug sie den Doppelnamen Brand-Scheuerlein. Zu dieser Zeit korrespondierte Mathilde Marchesi auch mit Ferdinand Hiller, lernte Hector Berlioz wie auch Anton Rubinstein kennen, der sie zur Rückkehr an das Konservatorium in Wien bewegte, wo sie schließlich bis zum Jahr 1878 lehrte.

 

Unterschrift von Mathilde Marchesi aus einem Brief an Monsieur Elkan, Paris, 7.12.2889, Signatur: Rara/FMG Marchesi, M.3/2 © Archiv fmg

 

Auf Frauenstimmen und die Gesangstradition von Frauen verweisend, neben Hedwig Scheuerlein unterrichtete sie u.a. Gabrielle Krauss, Selma Kurz, Rosa Papier-Paumgartner, später ebenso Lehrende am Konservatorium in Wien, Nellie Melba sowie ihre Tochter Blanche, beschließt Mathilde Marchesi ihre „Erinnerungen“: „Auf eine stattliche Anzahl Schülerinnen mit Namen, die ich in der ganzen Welt bis zu den äußersten Grenzen der Zivilisation begeisterungsvoll genannt werden, darf ich zurückblicken. Herrliche Blüthen sind es, freundlich auf dem zurückgelegten Berufspfade mich grüßend, und schon sehe ich es vor mir wieder sprießen und blühen. Treu will ich euch pflegen, ihr jungen keimenden und knospenden Talente, wenn auch ihr nur die Treue halten wollt in Fleiß und Begeisterung für die herrliche Kunst des Gesanges. Treue um Treue um des ‚bel canto‘ willen.“

Text: Univ.-Doz. Dr. Doris Ingrisch, Vertretung der Professur für Historische Musikwissenschaft.

 

Literatur

Mathilde Marchesi, Bel Canto. A Theoretical and Practical Vocal Method, Dover 1970. Sowie Richard Somerset-Ward, Angels & Monsters. Male and Female Sopranos in the Story of Opera, New Haven/ London 2004

Mathide Marchesi, Exercices elementaires el gradues. Elementar und stufenweise fortschreitende Uebungen, Boston/ New-York 1890

Mathilde Marchesi, Correct Methods of Vocal Study, in: Anton Seidl (Hg.), The Music of the Modern World, Vol. 2: Music, New York 1893, S. 159–160

Mathilde Marchesi, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien 1877, 4. Aufl. als Aus meinem Leben 1889

Mathilde Marchesi, Marchesi and Music. Passages from the Life of a Famous Singing-Teacher, New York 1897

Ingeborg Harer, Artikel „anna fröhlich (1793-1880) – sängerin, pianistin, erste professorin“, in: spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017plus, hg. von Andrea Ellmeier, Birgit Huebener und Doris Ingrisch, mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2017ff.

 

 
Mathilde Marchesi (Titelblatt von "Illustrirte Frauen-Zeitung") Wien Museum online Sammlung, Signatur: W 8060

Zuletzt bearbeitet: 28.07.2023

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