Januar 2023

Herzliche Neujahrswünsche von Teresa Carreño

Brief von Teresa Carreño an Amy Beach, Albany, NY, 14.01.1901, Signatur: Rara/FMG Beach,H.1/10 © Archiv fmg

 

Teresa Carreño (1853–1917) war eine der herausragendsten Pianist:innen ihrer Zeit. Ihr außergewöhnliches musikalisches Talent machte sie spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf der ganzen Welt bekannt. In einem Brief vom 14.01.1901, vor genau 122 Jahren, richtet sie ihrer Freundin, der ebenfalls berühmten Pianistin und Komponistin Amy Beach, in den folgenden schönen Zeilen ihre herzlichen Neujahrswünsche aus:

[...] "I most hearttily [!] return [...] "Ich erwidere herzlichst[!]
your very kind wishes for Ihre sehr freundlichen Wünsche für
the New Year and thank das Neue Jahr und danke
you with all my heart Ihnen von ganzem Herzen
for them. I hope that the dafür. Ich hoffe, dass das
New Year has presented itself Neue Jahr sich
to you all, under its most für Sie alle unter seinen
flattering auspices* and that schmeichelhaftesten Aussichten* gezeigt
it will continue to bring hat und dass es Ihnen weiterhin
you, all the happiness and all die Freude und
blessings, which you so richly Segen bringen wird, die Sie so reichlich
deserve." […] verdienen." […]**


*unklare Lesart **Übersetzung Franziska Hoppe

Ausschnitt Brief von Teresa Carreño an Amy Beach, Albany, NY, 14.01.1901, Signatur: Rara/FMG Beach,H.1/10 © Archiv fmg

Als Quelle des Monats Januar stellt dieser Brief damit einen zeitlich perfekten Anlass dar, um das Leben und Wirken der einzigartigen Musikerin Teresa Carreño genauer in den Blick zu nehmen.

 

Vom Wunderkind zum Weltstar

María Teresa Gertrudis de Jesús Carreño (García de Sena) – oder kurz Teresa Carreño – wurde am 22. Dezember 1853 in der venezolanischen Hauptstadt Caracas geboren. Sie wuchs dort in einer namhaften Musikerfamilie auf zeigte schon sehr früh eine besondere musikalische Begabung im Klavierspielen und Komponieren. Ihr Vater, Manuel Antonio Carreño, war ein großer Förderer des Talents seiner Tochter und anfangs auch ihr Lehrer. Er war Sohn des Komponisten und Kapellmeisters Cayetano Carreño und selbst ein angesehener Musiker der Stadt. Als Leiter der Nationalbank, Finanzminister und Außenminister war er zudem ein einflussreicher Politiker. Da seit 1859 in Venezuela Bürgerkrieg herrschte, emigrierte die Familie Carreño 1862 in die USA. Das „Wunderkind“ Teresa Carreño hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt. Auch in New York kannte man schnell ihren Namen. Ihr öffentliches Debut gab sie dort in der Irving Hall mit nur acht Jahren. Schon in diesem Alter wurde sie für ihre individuelle Spielweise und Interpretationsgabe bewundert – eine Qualität, auf die sie ihr Leben lang großen Wert legte. In New York erhielt sie außerdem Unterricht vom ehemals selbst als Wunderkind gefeierten Pianisten Louis Moreau Gottschalk. Sie widmete ihm noch im selben Jahr ihr Opus 1, den Gottschalk Waltz. Trotz des Civil Wars (1861–1865) spielte sie Konzerte in zahlreichen Städten der USA und in Kuba. Nach dem Tod ihrer Mutter zog sie mit ihrem Vater 1866 nach Paris um. Dort traf die junge Teresa Carreño auf viele bedeutende Musiker, beispielsweise Franz Liszt und Gioachino Rossini. Es folgten Konzertreisen nach England, Spanien und in die Niederlande. Mit nur 12 Jahren war sie europaweit bekannt.

In den Folgejahren konzertierte sie mit den besten Musiker:innen ihrer Zeit und füllte einige der größten Konzertsäle Europas. Sie erhielt Unterricht bei Anton Rubinstein, erweiterte ihr Repertoire mit immer virtuoseren Stücken und konzentrierte sich zunehmend auf eine internationale Karriere als Pianistin. Auch als Komponistin war sie nicht unbekannt. Insgesamt schuf sie ungefähr 80 Werke, insbesondere für Klavier. Ihre Kompositionen spiegeln Einflüsse des virtuosen Stils berühmter Komponisten sowie teilweise auch venezolanischer Volksmusik wider. Einen Großteil davon komponierte sie in ihren Jugendjahren zwischen 1863 bis 1873. Ihre produktivste kompositorische Schaffensphase war damit weitestgehend vorüber, als sie 1872 gemeinsam mit der Sängerin Carlotta Patti und dem Geiger Émile Sauret zurück nach New York ging, wo sie weiterhin als Pianistin umherreiste. Über ihr Image als „Wunderkind“ war sie in Europa hinausgewachsen und obwohl sie gelegentlich sogar als Sängerin auftrat, verband man mit dem Namen „Teresa Carreño“ vor allem eines: eine Virtuosin am Klavier.

 

Teresa Carreño abgebildet in Fotografie von Albert Meyer Nachf., Oscar Brettschneider (Fotografie), Teresa Carreño (Signierung), Berlin, 1912, Signatur: Rara/FMG Carreño,T.4 © Archiv fmg

 

Mit Émile Sauret, den sie ein Jahr später heiratete, bekam sie 1874 eine Tochter. Carreño ließ sie während großer Konzerttourneen bei einer Pflegemutter in England, welche sie schlussendlich vollends adoptierte. Carreños Vater war kurz zuvor verstorben und die Ehe mit Sauret nach nur zwei Jahren gescheitert. Sie ließ sich daraufhin zunächst in Bosten und später in New York nieder. Es folgten nach wie vor zahlreiche Konzerte in den USA. 1876 gab sie auch dort ihr Debut als Opernsängerin. Zwei Jahre später heiratete sie den italienischen Bariton Giovanni Tagliapietra. Mit ihm bekam sie weitere drei Kinder. Die Tochter Louisa starb jedoch schon mit drei Jahren. Gemeinsam mit ihrem Mann reiste sie 1885 und 1887 in ihre Heimat Venezuela zurück, wo sie im Auftrag des Präsidenten eine nationale Opernkompanie gründete, jedoch ohne großen Erfolg. Zwischenzeitlich sprang Carreño dort sogar selbst als Dirigentin ein. Nach der Trennung von Tagliapietra siedelte sie 1899 mit den gemeinsamen Kindern nach Berlin um. Ihr dortiges Debut als Konzertpianistin mit den Berliner Philharmonikern war ein riesiger Erfolg. Ihre Konzertreisen führten sie in den Jahren danach durch ganz Europa und Amerika bis nach Australien, Neuseeland, Ägypten und sogar Südafrika. 1892 heiratete Carreño den Geiger Eugen D'Albert, mit dem sie zwei Kinder bekam. Die Familie wurde von 1891 bis 1895 in Coswig bei Dresden in der Villa Teresa sesshaft. Diese Ehe endete allerdings in einer Scheidung, woraufhin Carreño 1895 zurück nach Berlin zog – in den Kurfürstendamm 28. Sie fand drei Jahre später eine neue Stütze in ihrem Leben, den Bruder ihres ersten Ehemannes, Arturo Tagliapietra. Mit ihm war sie von 1902 bis zu ihrem Lebensende verheiratet. 1895 und 1896 widmete sich Carreño zwischenzeitlich wieder der Komposition. Es entstanden zwei ihrer wohl reifsten Werke: ihre Serenade für Streichorchester und ihr Streichquartett in h-Moll, welches im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt wurde.

Zur Entstehungszeit des Briefes im Jahr 1901 befand sich Carreño gerade auf Tournee durch die USA, Kanada, Mexiko und Kuba. In den Jahren bis zu ihrem Tod folgten etliche weitere Konzertreisen, vor allem durch die USA und Europa, wo sie nicht selten mit großen Komponisten wie beispielsweise Edvard Grieg auf der Bühne stand. Während ihrer Tourneen führte Teresa Carreño zudem häufig Werke ihres Schülers und Freundes Edward MacDowell und anderer amerikanischer Komponist:innen auf. 1916 ließ sie sich schließlich in New York nieder, wo sie am 12.06.1917 verstarb. Ihre Asche liegt heute im Panteón Nacional in Caracas.

 

Karriere als Musikerin – zwischen Erwartung und Bewunderung

Die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen im 19. Jahrhundert machten diesen eine professionelle Musiklaufbahn nahezu unmöglich. Lediglich Sängerinnen nahmen aufgrund der Unersetzbarkeit der weiblichen Stimme seit Ende der Kastratenzeit eine Sonderstellung ein. Teresa Carreño war eine der ersten Frauen, denen eine so erfolgreiche Karriere als Instrumentalistin gelang. Sie wurde dadurch zum Vorbild für viele nachfolgende Musikerinnen und Pianistinnen. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte neben Carreño beispielsweise auch die Pianistin Clara Schumann. Spätestens nach der Eheschließung wurde von Frauen jedoch erwartet, ihre berufliche Laufbahn zu beenden und sich ihrer Bestimmung als Ehefrau und Mutter hinzugeben. Carreño gab ihre Karriere hingegen bis zu ihrem Tod nicht auf und unterbrach ihre Konzerttätigkeit selbst für ihre Kinder nie über längere Zeiträume. Die Entscheidung, ihre erste Tochter bei einer Adoptivmutter zu lassen, um weiterhin auf Tournee gehen zu können, bereute sie ihr ganzes Leben. Durch die stetige Priorisierung ihrer beruflichen Laufbahn, konnte sie sich und ihre Familie aber auch die meiste Zeit ihres Lebens finanziell selbst tragen, was ihr bei drei gescheiterten Ehen zugutekam. Auch die vier Eheschließungen im Leben Carreños waren keineswegs gesellschaftlich akzeptiert, ebenso wenig wie das Komponieren und Dirigieren als berufliche Tätigkeiten einer Frau. Selbst in Bezug auf ihren pianistischen Stil brach sie mit gender-spezifischen Erwartungshaltungen. Ihre Spielweise wurde als dynamisch, kräftig, energetisch und daher häufig als maskulin wahrgenommen (Carreños Klavierspiel wurde auf zahlreichen Notenrollen festgehalten, vorwiegend für das Reproduktionsklavier Welte-Mignon. Anhören kann man sich Ausschnitte in einem aktuellen Beitrag von Deutschlandfunk oder via Youtube).

Mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen wurde Teresa Carreño vermutlich schon im Kindesalter vertraut gemacht. Ihr Vater war nicht nur Politiker und Musiker, sondern auch der Autor eines bekannten venezolanischen Benimmbuches über Moral und Verhaltensideale. Darin befürwortet er die musikalische Ausbildung von Mädchen und die stärkere Eingliederung von Frauen in die Salon-Kultur. Diese hatte in Caracas damals einen hohen Stellenwert, da es noch kein so ausgereiftes öffentliches Konzertleben gab wie in Europa oder Nordamerika. Das Land strebte zu der Zeit jedoch nach Modernität und kulturellem Wachstum. Das Interesse an der Ausbildung von Mädchen in musikalisch-künstlerischen Fächern und im Klavierspiel wuchs stetig. Mädchen lernten vor allem einfache Tänze und unterhaltende Stücke, die für die Salon-Kultur geeignet waren. Eine solche Begabung und Förderung wie Teresa Carreño erhielten jedoch nur die wenigsten. Der Bürgerkrieg schränkte das kulturelle Leben im Land darüber hinaus massiv ein. Das venezolanische „Wunderkind“ Teresa Carreño wurde gerade deshalb zum Nationalsymbol und Zeichen kulturellen Fortschritts.

Carreño war also insgesamt in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, die sich immer wieder gesellschaftlichen Erwartungen widersetzte. Ihrer weltweiten Beliebtheit und ihrem Ruf als „Kaiserin des Pianos“ (so z. B. der Titel des oben genannten Beitrages im Deutschlandfunk) scheint dies jedoch nie ein Hindernis gewesen zu sein.

 

Die Freundschaft mit Amy Beach

Mrs. H.H.A. Beach abgebildet in einer Fotografie, o. D, o. O., Signatur: Rara/FMG Beach,H.1/2 © Archiv fmg

 

Auch Amy Beach, die Empfängerin des oben abgebildeten Briefes, war eine der wenigen erfolgreichen Musikerinnen zu ihrer Zeit. Es handelt sich bei dieser Quelle des Monats damit um einen kleinen Teil einer Korrespondenz von zwei einzigartigen Personen der Musikgeschichte, die es beide trotz aller Hürden und Herausforderungen für Frauen im 19. und frühen 20. Jahrhundert bis an die Spitze der Musikwelt schafften. Die im Brief verwendete Anrede „Dear Mrs. Beach“ anstelle eines Vornamens wirkt zwar etwas förmlich, der Inhalt zeugt jedoch von Freundschaft und Verbundenheit. Carreño richtet darin neben den Neujahresglückwünschen auch Grüße an Amy Beachs Mutter und ihren Ehemann aus. Zudem nimmt sie dankend eine Einladung ins Hause Beach im Anschluss an ein Konzert am darauffolgenden Samstag an. Carreño konzertierte am 17. und 19. Januar 1901 in der Association Hall in Boston, dem Wohnort Amy Beachs. Der 19. war ein Samstag und damit höchstwahrscheinlich ebenjener Tag des vereinbarten Treffens. Ein weiterer stichhaltiger Hinweis auf die gegenseitige Wertschätzung der beiden Musikerinnen ist zudem die Tatsache, dass Amy Beach Teresa Carreño ihr Klavierkonzert (op. 45) widmete. Zur geplanten Uraufführung mit den Berliner Philharmonikern im Jahr 1901 kam es jedoch nie. In Anna Kijas A Guide to Research, einer ausführlichen Übersicht über die Forschungs- und Quellenlage zum Leben und zur Musik Carreños, sind zwei andere Briefe aus der Korrespondenz zwischen Carreño und Beach aufgezählt: einer vom 06.01.1908, diesmal von Beach an Carreño (Quelle C3 in: Anna E. Kijas, S.187), und ein weiterer vom 17.12.1899 (Quelle C146 in: Anna E. Kijas, S. 218 ). Darin berichtet Carreño von ihrem letzten Konzert in Berlin, bei dem sie Amy Beachs Sonate für Klavier und Violine (op.34) aufführte, von der sie selbst ebenso wie das Publikum überaus angetan war. Außerdem dankt sie ihr darin für die Widmung des Klavierkonzertes. Wahrscheinlich haben es sich Teresa Carreño und Amy Beach zur Tradition gemacht: Auch in diesen beiden Briefen bekunden sie ihre herzlichen Glückwünsche fürs neue Jahr.

In diesem dreifachen Sinne wünscht auch das fmg ein frohes neues Jahr 2023!

Text: Franziska Hoppe (Studentische Hilfskraft am FMG und Studentin im Masterstudiengang Medien und Musik an der HMTMH)

Literaturhinweise

Kijas, Anna E., The Life and Music of Teresa Carreño (1853–1917): A Guide to Research (Music Library Association index and bibliography series, Bd. 41), Middleton, WI: A-R Editions, 2019.

Peñín, José, Art. „Carreño García de Sena, Teresa“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., zuerst veröffentl. 2000, online veröffentl. 2016, www.mgg-online.com/mgg/stable/20687.

Pita, Laura, Teresa Carreño’s Early Years in Caracas: Cultural Intersections of Piano Virtuosity, Gender, and Nation-Building in the Nineteenth Century, Dissertation, University of Kentucky, 2019, uknowledge.uky.edu/music_etds/134.

Pita, Laura, Art. „Carreño, (María) Teresa", in: Grove Music Online, 28. Oxford University Press, zuerst veröffentl. 2013, online veröffentl. 2015, www.oxfordmusiconline.com/grovemusic/display/10.1093/gmo/9781561592630.001.0001/omo-9781561592630-e-1002282327?.

 

 
Teresa Carreño abgebildet in Albumblatt, Fotografie o. O., April 1897, Signatur: Rara/FMG Carreño,T.3 © Archiv fmg

Zuletzt bearbeitet: 28.07.2023

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