Oktober/November 2023

„… please give my warmest love to my German ‚Men‘ und Schwestern…“

„… please give my warmest love to my German ‚Men‘ und Schwestern…“, Signatur: RaraFMG Goodson,K. 1/2, S. 3 © Archiv fmg.


Katharine Goodson (1872–1958) gehörte zu den gefragtesten Pianist*innen ihrer Zeit. Der selbst auch als Pianist und Dirigent tätige Herausgeber der Zeitschrift The Etude, James Francis Cooke, stellte sie 1914 vor einem Interviewabdruck folgendermaßen vor: „Miss Goodson is not only the most distinguished British pianist of the day but is possibly the most eminent artist of the keyboard England has yet produced.“¹ 1872 nordwestlich von London in Watford (Hertfordshire) geboren, studierte sie ab dem Alter von 12 Jahren an der Royal Academy of Music in London Klavier, zwischen 1886 und 1892 bei Oscar Beringer, danach weitere vier Jahre bei Theodor Leschetizky in Wien. Es folgten verschiedene Konzertreisen durch Belgien, Deutschland, Frankreich und andere europäische Länder. 1907 startete sie zusammen mit dem Boston Symphony Orchestra ihre erste von insgesamt sieben USA-Tourneen.² Im gleichen Jahr spielte sie auch einige Konzerte in Australien. Weitere Stationen ihrer umfangreichen Konzertreisen waren neben ihrem Heimatland beispielsweise Ungarn, Norwegen, Schweden und Finnland bis hin zu Java, Sumatra und Jamaica.³ 1908 beschrieb W. L. Hubbard ihr Spiel folgendermaßen: „Her interpretations are poetic and spontaneous, and are based on a thorough command of both technic and musical effects.“⁴

Angesichts ihres beachtlichen internationalen Erfolgs, der durch die Berichterstattungen zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften dokumentiert ist, muss es verwundern, dass Goodson in Deutschland kaum erinnert wird: Einträge in zentralen deutschsprachigen Musikenzyklopädien wie Musik und Gender im Internet (MUGI) und der Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) stehen bisher aus. Dabei verbrachte sie nach eigenen Angaben ihre prägendsten Lehrjahre in Wien und trat gerade zu Beginn ihrer Karriere auch häufig in Deutschland auf.⁵ Es war nach einem Konzert im Leipziger Gewandhaus 1905, als der Dirigent Artúr Nikisch ihr – später oft zitiert – angeblich sagte, dass sie neben Eugen d’Albert, Eugène Ysaÿe und Ignacy Jan Paderewski zu den wenigen ‚wahren‘ Musikern gehöre, die er kennenlernen durfte.⁶

Dies macht die drei im fmg aufbewahrten Briefe von Goodson umso interessanter. Ihre Bekanntschaft mit dem Adressaten, dem Violinisten Richard Gompertz (1859–1921), stammt wohl von ihren Reisen durch Deutschland – von ihm wollte sie sich vertraulich „Käthchen (an this I must remain!)“ [Brief von Goodson an Gompertz, 13.4.[1903], Rara/FMG Goodson,K.1/2, S. [3] © Archiv fmg.] nennen lassen, wie sie in dem im Titel zitierten Brief schrieb. Die drei Briefe thematisieren u. a. gemeinsame Proben in England, beispielsweise für die Aufführung von und mögliche Striche in Tschaikowskys Klaviertrio a-Moll op. 50, sowie die Möglichkeit eines Treffens während Goodsons nächster Konzertreise in Deutschland. Gompertz hatte in Berlin bei Joseph Joachim studiert und war danach als Konzertmeister bei der Cambridge University Musical Society sowie am Royal College of Music in London tätig, lebte den Briefen zufolge 1903 allerdings in Dresden, Verwandte von ihm in Köln.

Drei Briefe von Katharine Goodson an Richard Gompertz, Signatur: RaraFMG Goodson, K. 1/1, 1/2 und 1/3, jeweils S. [1] © Archiv fmg.

 

Die Briefe an Gompertz gewähren dabei nicht nur Einblicke in eine von Goodsons vielen Bekanntschaften zu musikalischen Kolleg*innen, sondern werfen auch ein Schlaglicht auf die besondere Künstlerehe zwischen Goodson und dem Komponisten Arthur Hinton (1869–1941), deren Beginn die Briefe zeitlich umrahmen. Im letzten dieser drei, einem Brief vom 2. Dezember 1903, berichtet Goodson etwa davon, dass sie und Hinton nach ihrer Hochzeit am 29. Juli lediglich zwei Monate zusammen gehabt hätten, da sie am 2. Oktober bereits wieder aufgebrochen sei: „I have had 33 Concerts in 7 weeks – so you can imagine how glad I am to be a house bird for a little now, and how glad my husband is not to be a bachelor any longer.“ [Brief von Goodson an Gompertz, 2.12.1903, Rara/FMG Goodson,K.1/3, S. [3] © Archiv fmg.] Die häusliche Gemeinschaft der beiden bedeutete allerdings keineswegs künstlerischen Stillstand. In den folgenden Jahrzehnten wirkte die Verbindung zwischen Goodson und Hinton für beide musikalisch äußerst fruchtbar: Goodson führte häufig Kompositionen Hintons auf, während Hinton seinerseits seiner Ehefrau Auftritte vermittelte. Fünf Jahre nach ihrer Hochzeit soll sie über ihren Mann bemerkt haben: „The qualities I most admire in a man are those which best enable him to appreciate the qualities which I most admire in women.“⁷ In ihrer möglicherweise einzigen erhaltenen Tonaufnahme interpretiert Goodson das Scherzo „Fireflies“ aus Hintons 1916 veröffentlichten A Summer Pilgrimage in the White Mountains.⁸

Bereits kurz vor der Eheschließung hatte Goodson Gompertz geschrieben, wie sie sämtliche Verpflichtungen, so auch den gemeinsamen Hauskauf mit Hinton, ihrer Musik unterordnete: „I know you will understand that immediately on my return I had so many people to see and so many invitations to accept, that I have scarcely had time to breathe – especially as there is always my music first – then we are house-hunting […] and a thousand other things to do – so my present life seems a great rush!“ [Brief von Goodson an Gompertz, 13.4.[1903], Rara/FMG Goodson,K.1/2, S. [2] © Archiv fmg.] Goodson blieb bis in die späten 1940er Jahre als Pianistin und Klavierlehrerin aktiv und gab verschiedentlich auch Presse- und Rundfunkinterviews zu ihren künstlerischen Überzeugungen. Dazu gehörte auch der in ihrer eigenen Laufbahn unzweifelhaft zum Ausdruck kommende Anspruch unablässiger kreativer Produktivität: „The measure of musicianship is the ability to do.“⁹

 

Verweise

¹ James Francis Cooke, „Editor’s Note“ in: The Etude 32 (1914), Nr. 7, S. 495.
² Vgl. Musical Courier, 16.1.1907.
³ Vgl. Cameron Andrews, The Aesthetic Revelation of Katharine Goodson, [o.O.] 2019, passim.
⁴ W[illiam] L[ines] Hubbard, Art. „Goodson, Katharine“, in: Musical Biographies, Bd. 2, hrsg. von dems., New York 1908, S. 203.
⁵ Vgl. Katharine Goodson, Teachers of Music, Sendung BBC Third Programme vom 19.6.1952 (Tonmitschnitt in der British Library).
⁶ Vgl. u. a. Cameron Andrews, The Aesthetic Revelation of Katharine Goodson, [o.O.] 2019, S. 91.
⁷ Zit. nach: Andrews, Aesthetic Revelation, S. 79.
⁸ Die Aufnahme stammt den Angaben Veikko Viljanens zufolge von 1920 und können bei Soundcloud gehört werden. Eine Aufnahme von Hintons „Fireflies“ ist auch in der British Library als Teil der BBC-Sendungsaufzeichnung Goodsons über Leschetizky von 1952 verfügbar. James Methuen-Campbell gibt an, dass es keinerlei Aufnahmen von Goodson gäbe: Art. „Goodson, Katharine“, in: Grove Music Online, 2001.
⁹ Katharine Goodson, „How Analysis Benefits the Piano Pupil“, in: The Etude 30 (1912), Nr. 6, S. 391.

 

Text: Vertr. Prof. Dr. Ina Knoth (Vertretung der Professur für Historische Musikwissenschaft)

 
Katharine Goodson, Library of Congress , hdl.loc.gov/loc.pnp/ggbain.36390 (letzter Zugriff: 15.9.2023)

Zuletzt bearbeitet: 13.12.2023

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