August/September 2024

Eine Komponistin empört sich – Brief von Baronne Almaury de Maistre

"[…] que je serai reconnaissante a ceux qui m’aideront a arriver a la lumière!!!! des rampes, que je désire autant que celle du soleil."

… sodass ich denen dankbar wäre, die mir helfen würden, ans Tageslicht zu gelangen!!!! Das Rampenlicht begehre ich ebenso wie das der Sonne.

[Die Transkriptionen und Übersetzungen wurden von der Autorin erstellt.]

Rara/FMG Almaury de Maistre,H.1/4 © Archiv fmg

 

Eine Komponistin, die sich im 19. Jahrhundert über Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts empört: Henriette-Marie Almaury de Maistre (geboren am 31. Juli 1809 in Nevers, gestorben am 7. Juni 1875 in Chaulgnes) tut dies in diesem Brief, der im Archiv des Forschungszentrums Musik und Gender liegt. Der Brief ist handschriftlich von der Komponistin und wahrscheinlich kurz vor dem Jahr 1870 verfasst worden. Nicht alles ist lesbar und zusätzlich muss ein Transfer von der französischen in die deutsche Sprache geleistet werden. Trotzdem wird ihre Empörung erkenntlich. Nicht zuletzt verdeutlicht sie diese einige Male mit dem Setzen mehrerer aufeinander folgender Ausrufezeichen und Unterstreichungen wichtiger Textpassagen.

Rara/FMG Almaury de Maistre,H.1/4 © Archiv fmg

 

Die Komponistin bittet im Brief den adressierten Monsieur darum, ein gutes Wort bei den Herren Leuven und Pasdeloup einzulegen, denen sie bald eine „petit opéra“, eine ,kleine Oper‘, präsentieren möchte. Es handelt sich bei den beiden wahrscheinlich um den Librettisten und Theaterdirektor der Opéra Comique Adolphe de Leuven und den ebenfalls aus Paris stammenden Dirigenten Jules Pasdeloup. Almaury de Maistre berichtet dem Monsieur außerdem von ihrer letzten erfolgreichen Matinée. Diese veranstaltete sie regelmäßig in den Wintermonaten und präsentierte dabei ihre eigenen Werke. Sie scheint den Monsieur bereits mehrmals zu den Matinées eingeladen zu haben und prangert nun an, dass er bisher nie gekommen sei. Wer genau dieser adressierte Monsieur ist, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Die Grußformel am Ende des Briefes lässt lediglich darauf schließen, dass sich Verfasserin und Adressat nicht besonders vertraut sind und eher in einem professionellen Verhältnis zueinander stehen.

Rara/FMG Almaury de Maistre,H.1/4 © Archiv fmg

 

Ein weiterer dem Forschungszentrum vorliegender Brief des Enkels von de Maistre aus dem Jahr 1913 gibt einen kurzen Einblick in das Leben der Komponistin. Der ebenfalls unbekannte Adressat des Briefes hatte zuvor anscheinend die Mutter des Enkels um einige Informationen zur Komponistin gebeten, die der Enkel nun weitergibt. Almaury de Maistre wurde als Henriette-Marie de Sainte-Marie geboren und lebte mit ihrem Ehemann, Charles Augustin Almaury de Maistre in einem Schloss nahe Pougues in Frankreich. Ihr musikalisches Werk besteht vor allem aus sakralen, aber auch aus profanen Werken. Der Enkel beschreibt im Brief lediglich die Oper „Roustalka [sic]“, es sind allerdings noch zwei weitere Opern der Komponistin überliefert: „Cléopâtre“ (vor 1870) und „Sardanapale“ (vor 1870) auch bekannt unter dem Namen „Ninive“. [mehr dazu in: Clément, F. & Larousse, P. (1867-1885). Sardanapale. In Dictionnaire Lyrique ou Histoire des Opéras. Administration du Grand dictionnaire universel.]

Der Brief wirft viele Fragen auf:

Was ist aus der „petit opéra“ geworden? Um welches Stück handelt es sich genau und wurde es doch noch aufgeführt? Komponistinnen war es durch gesellschaftliche Restriktionen ohnehin nur schwer möglich, sich neben den männlichen Kontrahenten einen Namen zu machen. Eine Oper zur Aufführung zu bringen, wurde allerdings noch dadurch erschwert, dass eine solche Aufführung mit hohen Kosten verbunden war. Viele Komponistinnen schufen daher vermehrt Kammermusik. [Mehr dazu in: McVicker, M. F. (2016). Women opera composers. Biographies from the 1500s to the 21st century. McFarland & Company.]
Da der Brief ohne eine Antwort vorliegt, lassen sich diese Fragen nur durch Recherchen aufklären.

Sowohl „Sardanapale“ als auch „Cléopâtre“ waren kurz davor, an einem Theater aufgenommen oder der Szene präsentiert zu werden, wurden letztendlich aber nie aufgeführt. Da beide Opern vieraktig sind, handelt es sich bei der „petit opéra“, die im Brief erwähnt ist, allerdings eher um das zweiaktige Stück „Les Roussalkas“. Almaury de Maistres Bitten scheinen tatsächlich erfolgreich gewesen zu sein: Es ist übermittelt, dass das Stück am 14. März 1870 im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel aufgeführt wurde. Das Libretto stammt von einem Monsieur Bogros, ein Pseudonym, hinter dem sich aller Wahrscheinlichkeit nach der Schriftsteller und Dichter Edouard Morvan verbirgt, der mit bürgerlichem Namen Jacques-Michel-Edmond Bogros hieß.

Ein Libretto oder gar die Partitur sind bisher nicht aufzufinden. Informationen über die Handlung und einige musikalische Besonderheiten des Stücks lassen sich aber in einem Lexikon französischer Opern aus dem 19. Jahrhundert nachlesen. Die Oper basiert auf der Erzählung „Rusalka“ des russischen Dichters Alexander Puschkin und ist in zwei Akten geschrieben. Die Müllerstochter Catherine steht kurz vor der Heirat mit ihrem Verlobten Iwan. Sie beichtet ihm, ihn mit dem Fürsten Leo betrogen zu haben, woraufhin Iwan sie verlässt. Auch der Fürst lässt seinen Pagen schicken, um ihr zu übermitteln, dass er ebenfalls nicht mit ihr zusammen sein kann. Catherine stürzt sich daraufhin in einen See und wird zu einem Wassergeist, in der ostslawischen Mythologie Rusalka genannt. Im zweiten Akt kehrt der Fürst, noch immer von Catherines Stimme heimgesucht, dorthin zurück. Puschkins Erzählung bricht dort ab. So wie in der bereits 1855 von Alexander Dargomyschski komponierten Oper „Russalka“, die ebenfalls auf der Erzählung Puschkins basiert, lässt auch de Maistre den Fürsten von der Rusalka in das Wasserreich und somit den Tod locken. Wie so oft wurde sich hier der Figur der Unheil und Tod bringenden Frau bedient.

In einer Kritik zur Oper werden einige Stücke des Werks als besonders gelungen herausgehoben: das Lied des Müllers, die Ballade der Roussalkas (Sur cette rive déserte), eine Romanze (Dans cette chaumière obscure), der Chor der Jäger und der Chor der Roussalkas mit Sopransolo. [N. N. (1870). Revue et gazette musicale de Paris, 37-38, 95.] Neben einigen kritischen Stimmen bleiben die Berichte über das Stück überwiegend positiv. N.N. (1870). Revue et gazette musicale de Paris, 37-38, 38, 95 &102. Trotzdem ist „Les Roussalkas“ wie die vielen weiteren Werke der Baronne Almaury de Maistre heute kaum bekannt.

 

Text: Johanna Miriam Wulff (Studentin im Masterstudiengang Musikwissenschaft und Musikvermittlung)

 

 
Rara/FMG Almaury de Maistre,H.1/4 © Archiv fmg

Zuletzt bearbeitet: 10.09.2024

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