März 2024

SMS von Jenny Lind

Für die Quelle des Monats März wurde erneut ein Brief ausgewählt. Doch während die zuletzt beschriebenen Briefe als Belege des musikkulturellen Handelns der Pianistinnen Marie Krebs und Emma Koch und ihrer Professionalisierung gelesen werden können, handelt es sich bei der aktuellen Quelle des Monats um einen ganz privaten und eher freundschaftlichen statt professionellen Einblick in das Leben von Jenny Lind-Goldschmidt.

Die „Lost Letters“, ein 2020 vom fmg erworbenes Konvolut von 34 Briefen, (siehe Quelle des Monats Oktober 2021: „Lost Letters“ wiederentdeckt: Neue Forschungsinitiativen zur schwedischen Sängerin Jenny Lind), gehören vermutlich zu den bekanntesten Quellen der 1820 in Stockholm geborenen Sängerin. Sie sind adressiert an ihre Freundin und enge Vertraute Amalie Wichmann und vermitteln einen lebhaften Eindruck ihres persönlichen Umfelds, ihrer Ehe und Mutterschaft sowie ihrer musikkulturellen Tätigkeit in der Zeit von 1850 bis 1874. Für Aufsehen sorgten die Briefe doch zunächst aufgrund ihrer Unauffindbarkeit: Wurden sie 1960 noch von W. Porter Ware und Thaddeus C. Lockard erworben und eher frei übersetzt als „The Lost Letters of Jenny Lind“ publiziert, galten sie bis zum Ankauf in Hannover als verschollen. Doch auch wenn jeder dieser Briefe durchaus Potential für die Quelle des Monats hätte, zeigt die Auswahl in diesem Monat einen anderen Bereich des Lebens der Sängerin.

Jenny Lind an Fam. Judeich. Signatur: Rara/FMG Lind,J.7/1-3 © Archiv fmg

 

Der abgebildete Brief ist einer von neun Briefen, die von der Korrespondenz zwischen Jenny Lind-Goldschmidt und der befreundeten Familie Judeich im fmg vorliegen. Sie stammen aus der Zeit zwischen 1853 und 1857. Der Zeit, in der das frisch vermählte Paar Lind-Goldschmidt von einer zweijährigen Amerika-Tournee zurückkehrte und in Dresden lebte, bevor sie 1858 nach England übersiedelten. Die Amerika-Tournee, zunächst von P. T. Barnum organisiert, markiert in der Karriere der 1820 in Stockholm geborenen Sängerin zum einen den Punkt ihres über die Grenzen Europas hinausgehenden Erfolgs und zum anderen jedoch den langsamen Rückzug von der Opernbühne. Es folgten lediglich kleinere Konzerttourneen durch Deutschland, die Niederlande und England in den Jahren bis 1860, bevor sie sich schließlich aus der Öffentlichkeit zurückzog.

Auch ihre zwei ersten Kinder, den Sohn Walter und die Tochter Jenny Maria Catherine, brachte Jenny Lind in den Jahren 1853 und 1857 in Dresden zur Welt. Darüber hinaus gibt es wenige Berichte aus ihrer Zeit in Dresden, befand sie sich doch für einen Großteil auf Tournee. Die vorliegende Korrespondenz gibt jedoch einen Einblick in eine freundschaftliche Beziehung und die Gestaltung ihres Familienlebens in der Stadt. So lebte auch Familie Judeich in Dresden. Adressiert sind die Briefe an die „Kleine Packhofstraße Nr. 1“ und somit nur 2,2 km (nach heutigem Straßenverlauf) entfernt von der Wohnung der Lind-Goldschmidts in der Pirnaischen Gasse 33 (heute Pirnaische Straße). Während Jenny Lind-Goldschmidt und ihre Freundin Marie Pauline Judeich, Tochter des Verlagshauses Brockhaus, mehrseitige Briefe zum Wohlergehen ihrer Kinder, der gemeinsamen Abendplanung oder Sendungen für den Vater Heinrich Brockhaus austauschten, lesen sich die Briefe an Albert Judeich zunächst weniger aufschlussreich.

So spricht die Sängerin den Finanzbeamten mit teils wahllos erscheinenden Aneinanderreihungen von Bezeichnungen an. Die längste liest sich als „Blitz-Steuer-Feuer-Kreuz-und-Quer-Rath Albertus Judeichus“ und auch die Nachrichten sind nicht weniger humoristisch. So bietet sie ihm in einem Brief so kurz wie eine heutige Messenger-Nachricht „Frische[n] Gurkensalat mit schändlicher Verleumdung“ an. Die hier abgebildete Quelle zeigt ein Beispiel desselben Humors und der vermutlich auf persönlichen Anekdoten der Familien aufbauenden Kurznachrichten, jedoch hier an „Frau Steuer-Kreuzer [sic]-Rath v. Judeich“ adressiert, und fragt:

„Darf ich ein Butterbrot mit Glaceehandschuen [sic] anbieten?“

Jenny Lind an Marie Pauline Judeich. Signatur: Rara/FMG Lind,J.7/5 © Archiv fmg

 

Obwohl diese Nachrichten rein inhaltlich wenig informativ erscheinen, geben sie doch einen nahbaren Blick in das Leben der schwedischen Sängerin. Sie zeigen, wie sich zwei Familien im städtischen Raum verhielten, wie sie ihre gemeinsame Zeit planten und den Kontakt aufrechterhielten, sei es auch nur durch kurze Notizen. Auch sind die Briefe ein Beispiel für die Kommunikationswege des 19. Jahrhunderts und dafür, dass Briefe nicht nur als informationsreiches Medium genutzt wurden, sondern auch als Wege der eher spontanen und kurzweiligen Konversation, fast so wie es heute im digitalen Raum durch Kurznachrichten und Messenger-Dienste passiert.

Vom 08.-10. Februar unternahm das Kolloquium des fmg eine Exkursion nach Dresden und erkundete unter anderem auf den Spuren von Jenny Lind die Stadt. So durfte Herr Dr. Luyken den Briefboten des 19. Jahrhunderts verkörpern und brachte eine der Quelle des Monats nachempfundene Version des Briefes vom Haus der Lind-Goldschmidts in die Kleine Packhofstraße 1. Hierbei entstand das folgende Bild.

 

 

Text: Janica Dittmann (Studentin im Masterstudiengang Medien und Musik an der HMTMH)

 
Fotografie von Jenny Lind-Goldschmidt mit ihrem Sohn Walther. Fotograf: Hermann Krone. [O.o.], 1856. Quelle: www.deutschefotothek.de/documents/obj/80675521)

Zuletzt bearbeitet: 12.03.2024

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