Oktober 2024
Selbstdarstellungen von Damenensembles zur Kaiserzeit
Vom 16. bis 19. September 2024 fand die diesjährige HMTMH-Summerschool unter dem Motto Gender - Musik - Medien statt, in der ca. 20 Studierende verschiedener Hochschulen sich mit (Selbst-)Darstellungen im musikalischen Kontext auseinandersetzten. Dabei wurden an vier Stationen (Selbst-)Darstellungen in verschiedenen Medien analysiert, unter anderem auch die Darstellung von Damenensembles auf historischen Bildpostkarten, die im fmg zu einer Sammlung zusammengefasst sind.
Für die Quelle des Monats sollen hier zwei Postkarten aus dieser Sammlung vorgestellt werden. Die Sammlung umfasst 458 Postkarten, auf denen zum größten Teil Fotografien von verschiedenen Damenensembles abgebildet sind. In diesem Beitrag soll analysiert werden, auf welche Weise die Bildseite der ausgewählten Postkarten Geschlechterrollen, bzw. -stereotype ihrer Zeit reproduzieren und wie in der visuellen Darstellung eventuell auch mit klassischen Geschlechterrollen gebrochen wird.
Die Größe und Vielfalt der Postkarten-Sammlung lässt bereits auf die große Verbreitung dieses musikalischen Phänomens schließen. Dennoch sind die Damenensembles in der musikwissenschaftlichen Forschung bisher wenig beachtet worden. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema bietet Dorothea Kaufmanns Arbeit „‚… routinierte Trommlerin gesucht‘ — Musikerin in einer Damenkapelle — Zum Bild eines vergessenen Frauenberufes aus der Kaiserzeit“, die 1997 in den Schriften zur Popularmusikforschung 3 veröffentlicht wurde. Trotzdem konstatiert Maren Bagge 2018 weiterhin ein Forschungsdesiderat hinsichtlich dieser Ensembles (vgl. Bagge 2018, S. 11).
Was also waren Damenensembles?
Obwohl Frauen auch schon vor der Industrialisierung vereinzelt als Musikerinnen in Erscheinung traten, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt Ensembles, die vorrangig aus Frauen bestanden. Diese Damenensembles, Damenorchester oder auch Damenkapellen boten auch kleinbürgerlichen Frauen und Frauen der Arbeiterklasse eine Möglichkeit, professionell musikalisch aktiv zu sein. Besonders in der späteren Zeit des Deutschen Kaiserreiches (1871-1918) entstand ein wahrer Boom der Damenensembles. Dieser lässt sich durch eine durch Dorothea Kaufmann durchgeführte Analyse der Zeitung Artist nachweisen. Demnach stieg die Anzahl an Damenensembles von 43 im Jahr 1894 auf 299 im Jahr 1913. Erst in den 1920er-Jahren sei ein Rückgang in der Anzahl der Ensembles zu verzeichnen (vgl. Kaufmann 1997, S. 7).
Die Ensembles bestanden aus ganz unterschiedlichen Formationen und Besetzungen, die auch durch die Postkartensammlung deutlich werden. Es gab sowohl Streich- und Gesangs-Ensembles als auch Blaskapellen. Sehr verbreitet waren außerdem Varieté- und Verwandlungsensembles. Zum größten Teil bestanden die Ensembles zwar aus Frauen, häufig wurden sie jedoch von einem Mann geleitet oder zumindest organisiert. Mitunter bestanden die Ensembles auch aus Familien und boten so auch verheirateten Frauen eine Möglichkeit des selbständigen Verdienstes in der Musikbranche. Die Ensembles wurden meist für eine bestimmte Zeit in einem Etablissement als Unterhaltungs-Akt angestellt und zogen nach Ende des Engagements weiter.
Allein die Bezeichnung Damenensemble versprach schon eine besondere Attraktion in den meist von Männern besuchten Veranstaltungsorten oder Gaststätten. Häufig kamen neben der musikalischen Tätigkeit allerdings auch noch weitere Arbeitsanforderungen auf die Frauen zu, wie z.B. das Animieren der Gäste zum längeren Bleiben und Trinken oder das „Bühnensitzen“. Nicht nur deshalb wurden bereits in Zeitungs-Annoncen, durch die die Ensembles neue Musikerinnen rekrutierten, explizit nach „jungen“, „hübschen“ und „eleganten“ Damen gesucht (vgl. Kaufmann 1997, S. 9). Diese außermusikalischen Arbeitsbedingungen führten immer wieder zu Vorverurteilungen der Musikerinnen. Auch die Bezeichnung „Damenensemble“ könnte dazu beigetragen haben, da der Begriff „Dame“ nicht mehr nur eine adlige Frau bezeichnete, sondern auch als ironische Bezeichnung für niedrig stehende Frauen oder Prostituierte verwendet wurde.
Die Bildpostkarten dienten den Damenensembles in erster Linie als Werbemittel, boten ihnen durch den Verkauf nach den Konzerten jedoch auch einen kleinen Nebenverdienst. Zusätzlich ließen auch einige Veranstaltungsorte Postkarten mit Damenensembles und dem eigenen Stempel als Werbung für ihr Etablissement drucken. Da die Postkarte seit ihrer Einführung 1870 zu einem sehr beliebten Kommunikationsmittel geworden war, ermöglichte der Vertrieb dieser Bildpostkarten eine nachhaltigere und auch räumlich weitreichendere Form der Werbung, als beispielsweise Plakate oder Zeitungsannoncen.
Die Analyse der Postkarten ist vor allem deshalb interessant, weil sie einen Einblick in musikkulturelle Handlungsräume von Frauen zur Kaiserzeit geben und als „Medium der bewussten Selbstdarstellung“ (Bagge 2018, S. 28) auch Aufschlüsse darüber geben können, wie Musikerinnen sich in der Öffentlichkeit präsentierten. Gleichzeitig muss die eigene Perspektivität bedacht werden, mit der wir heute auf diese Bilder schauen, weshalb sie auf uns vermutlich ganz anders wirken, als sie es auf die Menschen zur Kaiserzeit taten. Vor allem die Genderperspektive kann den Blick auf Quellen wie diese deutlich verändern (vgl. Borchard 2010, S. 44).
Ein sittsames Damenensemble?
Die erste Postkarte (Rara/FMG Postkarten.353) zeigt laut Untertitel das Oesterreichische Damen- Orchester „Waldrosen“. Zusätzlich ist „Dir. Franz Theiser“ vermerkt, was auf die Identität des Dirigenten oder Organisator des Ensembles schließen lässt. Eine genaue Datierung der Fotografie ist schwierig, auf der beschriebenen Rückseite ist jedoch ein Poststempel mit dem Datum 26.4.12, damit wird 1912 gemeint sein, zu erkennen.
Auf dem Bild sind vier weiblich und zwei männlich gelesene Personen zu sehen (im Folgenden Männer und Frauen benannt), die um einen kleinen Tisch herum versammelt sind und mit ernsten Mienen in die Kamera schauen. Während die Männer fast komplett in schwarz gekleidet sind, tragen drei Frauen lange, hochgeschlossene, weiße Kleider. Lediglich die Frau, die in der hinteren Reihe zwischen den Männern steht, trägt eine weiße Bluse und einen dunklen Rock und hebt sich auch durch ihre einfachere Frisur von den anderen Frauen ab. Diese wirken etwas jünger und tragen aufwendige Steckfrisuren. Die ganze Komposition des Bildes wirkt wie ein altes Familienfoto, auf dem die jüngeren Töchter vorn auf den Stühlen sitzen, die Erwachsenen dahinter stehen. Die weißen Kleider der drei Frauen lassen diese besonders jugendhaft erscheinen und unterstreichen ein sicherlich bewusst gewähltes Image feiner, sittsamer Damen (vgl. Bagge 2018, S. 26). Die Frisuren verstärken dagegen eher den Eindruck einer Attraktion. Insgesamt entspricht die Kleidung der abgebildeten Personen durchaus der Mode der Kaiserzeit, wobei aber auf Extravaganzen verzichtet wird. Dennoch muss bedacht werden, dass die Alltagskleidung von Arbeiterinnen und kleinbürgerlichen Frauen normalerweise eher dunkel gehalten war (vgl. Kaufmann 1997, S. 14). Das Ensemble orientierte sich in der Wahl ihrer Kleidung also eher an der höheren Gesellschaftsschicht, konform mit den vorherrschenden geschlechtsspezifischen Normen. Man könnte auch annehmen, dass die Wahl des „jungfräulichen Weiß“ für die Kleider bewusst getroffen wurde, um den immer wiederkehrenden Verdächtigungen der Prostitution entgegenzuwirken (vgl. ebd.).
Interessant ist, dass das Ensemble ohne Instrumente abgebildet ist. Somit lässt sich nicht erkennen, in welcher Besetzung oder welche Art von Musik sie gespielt haben könnten. Häufige Besetzungen waren zum Beispiel Violine, Flöte, Harfe, Gitarre und Gesang. Dass die Besetzung aus der Abbildung nicht hervorgeht, könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Frauen für die Bewerbung des Ensembles von größerer Bedeutung waren als das Musik-Genre.
Damen in Uniform?
Die zweite Postkarte (Rara/FMG Postkarten.27) zeigt ein vierköpfiges Ensemble in Uniformen. Laut Untertitel handelt es sich hierbei um das Dresdner Damen-Gesangs- und Verwandlungs- Ensemble „Titania“. Auch bei diesem Ensemble ist ein Dirigent oder Leiter angegeben (Dir. Max Anders), der jedoch nicht auf dem Bild zu sehen ist.
Im Vergleich zu der ersten Postkarte wird hier deutlich, wie das Ensemble durch Kostüme, Haltung und Gesichtsausdruck mit den vorherrschenden Geschlechterrollen spielt. Die weiblich gelesenen Personen stehen der Größe nach in einer Reihe, soldatenhaft aufrecht, alle in der gleichen Position und mit ernstem Gesichtsausdruck. Besonders die Uniformen, Degen und die als Kurzhaarfrisur gesteckten Haare lassen die Personen eher männlich wirken. Interessant ist, dass den Personen zusätzlich mit einem Stift im Nachhinein Schnurrbärte ins Gesicht gemalt wurden, was die männliche Wirkung natürlich noch unterstreicht, jedoch auch ein Hinweis darauf sein kann, dass sich über diese Art von Ensembles mitunter lustig gemacht wurde.
Der Begriff „Verwandlungs-Ensemble“ deutet darauf hin, dass es sich bei diesem Ensemble um eine Gruppe handelte, die sich auf Bühnenaufführungen spezialisierte, in denen Verkleidungen oder Rollenspiele eine zentrales Element der Performance waren. Diese Art von Aufführung war besonders im frühen 20. Jahrhundert populär und oft ein Mittel, um mit Geschlechternormen zu spielen oder sie sogar zeitweilig auf den Kopf zu stellen. Die Darstellung dieser Frauen in Uniform zeigt, dass sie nicht nur konventionelle weibliche Attribute zurückweisen, sondern möglicherweise auch eine Form von Emanzipation und Empowerment darstellen. Auf der anderen Seite wurden Frauen in Uniformen zu der Zeit häufig auch als besonders attraktiv oder erotisch wahrgenommen, was wiederum Aufschluss auf die Wirkung dieses Ensembles auf das damalige Publikum geben kann.
Diese knappe Auseinandersetzung mit den Abbildungen von Damenensembles auf Bildpostkarten lässt bereits die Vielfalt an weiteren Forschungsmöglichkeiten an diesem Gegenstand erkennen. Interessant wäre beispielsweise auch, zu untersuchen, wie viele der Rückseitig beschriebenen Postkarten sich in den Mitteilungen auf die Damenensembles beziehen und welches zeitgenössische Bild auf die Ensembles dadurch möglicherweise deutlich wird.
Literatur
Bagge, Maren: „am besten, wie Sie sehn, tut uns die Pfeife stehn“. Werbung und Inszenierungsstrategien von Damenensembles um 1900 auf Postkarten, in: Kreutziger-Herr, Annette u.a.: Wege. Festschrift für Susanne Rode-Breymann, Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 100, Hildesheim/Zürich/New York 2018.
Borchard, Beatrix: Les-Arten oder: Wie verändert die Gender-Perspektive die Interpretation von
Quellen?, in: Grotjahn, Rebecca / Vogt, Sabine: Musik und Gender. Grundlagen - Methoden - Perspektiven, Kompendien Musik 5, Laaber, 2010.
Kaufmann, Dorothea: „... routinierte Trommlerin gesucht“. Musikerin in einer Damenkapelle. Zum Bild eines vergessenen Frauenberufes aus der Kaiserzeit, Schriften zur Popularmusikforschung 3, Karben 1997.
Text: Johanna Gronemann (Studentin im Masterstudiengang, Teilnehmerin an der Summerschool | Gender – Musik – Medien im Sommersemester 2024)
Zuletzt bearbeitet: 29.10.2024
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