April/Mai 2025
Musikalische Netzwerke im Exil: Alma Mahler Werfel und Bruno Walter in den USA (1940–1946)
Alma Mahler-Werfel und Bruno Walter hatten Zeit ihres Lebens ein ambivalentes Verhältnis. So stand erstere der Freundschaft zwischen Gustav Mahler und Bruno Walter eher skeptisch gegenüber (vgl. Hilmes, 2015, S. 156). Dies wird besonders in der Quelle des Monats April/Mai deutlich.
Das Konvolut aus acht Briefen bietet einen Einblick in Alma Mahler-Werfels Gefühlswelt der 1940er Jahre wie auch in die Situation der „deutschen Großkopfeten“ (Brief von Alma Mahler-Werfel an Paul Stefan, Los Angeles, 29.6.1941. Signatur: Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/5) im Exil. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 floh sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Franz Werfel durch Europa, bis sie schließlich im Dezember 1940 in den USA ankamen. Dabei waren sie Teil eines Netzwerks, zu dem auch Thomas Mann, Bruno Walter und Bruno Frank gehörten, das regelmäßig zu Gast beim Ehepaar Mahler-Werfel war.
- Alma Mahler-Werfel mit ihrem Ehemann Franz Werfel (undatierte Aufnahme) (dpa/picture alliance). Quelle: www.deutschlandfunk.de/alma-mahler-werfel-eine-femme-fatale-des-20-jahrhunderts-100.html.
In den Briefen schrieb Mahler-Werfel an den Musikschriftsteller und Freund Paul Stefan sowie dessen Frau Yella. Sie sind datiert zwischen dem 8. Dezember 1940 und dem 30. März 1946. Es lassen sich einige Themen in der Korrespondenz identifizieren:
- Die Flucht von Familie, Bekannten und Freund*innen aus Europa, zu Beginn auch von Paul und Yella Stefan, und wie Mahler-Werfel und ihr Ehemann versuchten diese zu unterstützen.
- Franz Werfels schriftstellerische Arbeit sowie die Verfilmung eines seiner Werke.
- Die beiden Gustav Mahler-Biografien von Bruno Walter und Mahler-Werfel selbst sowie ihre Haltung zur Rezeption ihres verstorbenen Ehemanns in diesen Werken.
Letzteres soll mit Blick auf die Briefe vom 03.06.1941 (Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/3), 16.06.1941 (Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/4) und 09.07.1941 (Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/6) im Zentrum der folgenden Auseinandersetzung stehen.
„Er macht aus Mahler das, was er selber ist!“
Mahler-Werfel schrieb am 03. Juni 1941 an Paul Stefan in New York City, dass ihre Tochter sie darüber informiert habe, dass es Feierlichkeiten zu Mahlers 30. Todestag in London und Oxford gegeben habe. In Oxford seien Passagen aus ihrem Buch verlesen worden. Dass es Veranstaltungen in London gegeben hatte, lässt sich bestätigen. So berichtete The Musical Times von Feierlichkeiten in der Wigmore Hall am 18. Mai: „A concert to celebrate the thirtieth anniversary of Mahler’s death was given at Wigmore Hall[…]” (The Musical Times, 1941, S. 278). Gleichzeitig empörte sie sich in ihrem Brief darüber, dass der Dirigent und enge Vertraute Gustav Mahlers, Bruno Walter, nichts bezüglich des Jahrestages geschrieben oder von Mahler dirigiert hätte. Stattdessen spielte er bei einem Konzert in San Francisco Werke von Richard Strauss, worüber sie verärgert war. „Es ist wirklich schamlos!“ lautete ihre Reaktion darauf.
Im nächsten Brief vom 16. Juni 1941, versendet aus ihrem Wohnort in Beverly Hills, antwortete Alma wohl auf Nachfragen der Stefans zu den Feierlichkeiten in Großbritannien:
„Die Feier in Oxford ist immer [eigentlich imer mit Stich über m zu Verdopplung des m] noch unklar. Ich weiß nur, dass aus meinem Buch gelesen wurde. Bruno Schlesinger war wegen meines Buches sehr böse auf mich.“ (Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/4).
Bei Bruno Schlesinger handelt es sich um Bruno Walter. Sie verwendete hier seinen 1911 abgelegten Nachnamen (Hörner, 2020). Sie wollte ihm diesbezüglich schreiben. Aus den weiteren Briefen geht nicht hervor, inwieweit sich dieser Konflikt entwickelte oder welche Konsequenzen diese Bewertung für Walter oder Mahler-Werfel mit sich führten.
- Bruno Walter, Wien 1912. Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Walter
Im sechsten Brief scheint die Dissonanz zwischen den beiden Personen eindeutig zu sein. Weniger als einen Monat später, am 09. Juli 1941, schrieb Mahler-Werfel erneut aus Kalifornien an das Ehepaar Stefan. Sie bewertete Walters Buch darin als „walterische[n] Dreck“. „Er macht aus Mahler das, was er selber ist!“ (Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/6). „Selber“ unterstrich sie dabei doppelt. Bereits im vorigen Brief beschrieb sie sein Buch als „fad[e]“ (Rara/FMG Mahler-Werfel,A.6/5).
Ein Grund für diese abneigende Haltung ist laut Oliver Hilmes die schiere Abwesenheit ihrer Person in Walters Mahler-Biografie, Gustav Mahler. Ein Porträt (1936). So schrieb sie in ihr Tagebuch „Und ich – ich bin einfach nicht vorhanden. Meine Kränkung zerstörte mir die Nacht. Ich werde mich energisch zur Wehr setzen […] … mich so im Hintergrund zu halten. Denn diese Schweine glauben dadurch, ich hätte etwas zu verbergen“ (AMW, Tagebuch, 04.06.1936, S. 299, Alma Mahler-Werfel Collection, zitiert nach Hilmes, 2004, S. 284). Hilmes beschreibt die Distanz, die Mahler-Werfel zu Bruno Walter pflegte. Besonders dessen gute Beziehung zu Gustav Mahler betrachtete Mahler-Werfel wachsam. Um die genaue Ursache für dieses Misstrauen herauszufinden, benötigt es einer intensiveren Auseinandersetzung mit Primärquellen der drei beteiligten Personen. Mahler-Werfel schob ihre Meinung zu Walter schließlich auf dessen jüdische Identität und stellte sich selbst als Christin gegenüber (vgl. ebd. S. 285).
Dass es in Bezug auf beide Monografien auch um mehr ging als eine persönliche Antipathie, steht außer Frage, wenn Mahler-Werfel formuliert, Walter mache aus Mahler, was er selbst sei. Letztendlich geht es um die Deutungshoheit über Gustav Mahler, die beide in und mit ihren Schriften aushandelten. Es wäre lohnenswert, diesen Konflikt aus gendersensibler Perspektive zu untersuchen. So ist es möglich, dass Bruno Walter als guter Freund des Komponisten mehr Glaubwürdigkeit geschenkt wurde als der Ehefrau Alma Mahler.
Erst in den folgenden Jahren schien das Verhältnis zwischen Mahler-Werfel und Walter aufzuweichen. Als Walter an seinen Memoiren arbeitete, löste dies zunächst Angst in Mahler-Werfel aus, er könnte sie in einem schlechten Licht darstellen. Das befürchtete Szenario trat jedoch nicht ein. Vielmehr gab er eine „gerechte Darstellung“ (Hilmes, 2004, S. 393) von ihr und sie durfte vorab das Manuskript lesen. Zudem zog der Dirigent in das Haus neben den Mahler-Werfels ein, was sie schließlich zu unmittelbaren Nachbar*innen werden ließ (vgl. ebd.).
Text: Tamina Pamir (Studentin an der Universität Göttingen und Teilnehmerin des fmg-Quellenseminars "Musikerinnen und Mobilität im langen 19. Jahrhundert" im Wintersemester 2024/2025)
Literatur
Hilmes, Oliver. Witwe im Wahn: das Leben der Alma Mahler-Werfel. München: Siedler, 2004.
Hörner, Stephan. „Walter, Bruno.“ In: Neue Deutsche Biographie 27. 2020, S. 355-357 [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628879.html#ndbcontent.
„London Concerts.“ The Musical Times, Vol. 82, No. 1181, Juli 1941, S. 277f. Musical Times Publications Ltd. https://www.jstor.org/stable/922455.
Zuletzt bearbeitet: 02.05.2025
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