Januar 2025
Die erste Quelle des Monats im Jahr 2025 wirkt auf den ersten Blick recht unscheinbar: ein schreibmaschinen-geschriebenes Formular mit der Überschrift „Abtretung des Urheberrechtes“, unterschrieben am 09. Januar 1912 von Erna Mendelssohn. Das Schriftstück ist damit Zeugnis der Musikwirtschaft des frühen 20. Jahrhunderts, einer Zeit in der das Urheberrecht, wie wir es heute kennen, seinen Ursprung fand. Gleichzeitig lädt es dazu ein, die Biographie der Unterzeichnerin und das genannte Werk im Kontext der Quelle zu betrachten.
Das Urheberrecht
Neben der Biographie ihrer Unterzeichnerin lädt die Quelle auch dazu ein, das Thema des Urheberrechts und der kommerziellen Nutzung von Musik etwas genauer zu betrachten. Bevor hier der Vertrag von Erna Mendelssohn mit der Firma Adolf Köster in den Mittelpunkt gestellt werden soll, lohnt sich ein kleiner Einblick in die Geschichte und Funktionsweise des Urheberrechts (in Deutschland).
Mit dem Einzug Napoleons fand auch das französische Recht Anwendung in den deutschen Ländern. So verbreitete sich ab dem frühen 19. Jahrhundert das französische Modell des Urheberrechts, das, im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Copyright, die Persönlichkeitsrechte des/der Schöpfer*in in den Mittelpunkt stellte. Mit Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 wurde schließlich auf Bestreben des Börsenvereins das Gesetz betreffend des Urheberrecht an Werken der bildenden Künste in Kraft gesetzt, das 1886 mit Unterzeichnung der „Berner Übereinkunft“ von mehreren europäischen Ländern auch international umgesetzt wurde. Während sich dieses Urheberrecht jedoch bisher vor allem auf bildende Künste bezog, wurden 1901 schließlich auch Werke der Literatur und Musik urheberrechtlich geschützt. Dieses Gesetz gewann in den Folgejahren zunehmend an Bedeutung. Es vergrößerte sich sowohl die Zahl derer, die mit der Schöpfung von Inhalten ihren Lebensunterhalt verdienten, als auch der Wege, diese Inhalte zu vervielfältigen und zu vertreiben.
Das Urheberrecht wahrt damit in seinen Grundsätzen bis heute das persönliche Recht auf kreative Schöpfung und das Eigentum daran. Dies führt dazu, dass Musik zu einem verkäuflichen Gut wird, dessen Nutzungsrechte zunächst bei dem/der Urheber*in liegen. Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Verwertungsgesellschaften wie die GEMA, diese Nutzungsrechte von Musiker*innen und ihrer Werke zu lizensieren, während das Urheberrecht bei der/dem Schöpfer*in verbleibt. Doch wurden musikalische Werke bereits von ihren Komponist*innen verkauft, wie die vorliegende Quelle besonders drastisch zeigt.
So übersteigt diese Abtretung die bloße Überlassung der Nutzungsrechte des Werkes. Wie in der Quelle zu lesen ist, überträgt Erna Mendelssohn dem Musikverlag Adolf Köster (hier als Firma Adolf Köster bezeichnet) das unbeschränkte und übertragbare Urheberrecht an ihrem Werk Fünf Duette für Mandoline und Gitarre (Laute). Damit erlangt dieser die „Befugnis der ausschließlichen Vervielfältigung und gewerbsmäßigen Verbreitung“ für alle Zeit. Inbegriffen sind Änderungen des Werkes, die Festsetzung des Verkaufspreises und das Aufführungsrecht. Auch bestätigt sie mit dem Vertrag, Melodien des Werkes nicht noch einmal in anderen, eigenen Werken zu nutzen. Hierfür bestätigt sie den Empfang eines Honorars.
Während der Vertragstext maschinell mit einer Schreibmaschine geschrieben wurde, werden die vertragsschließenden Parteien und das Werk, dessen Rechte übertragen werden sollen, handschriftloch hinzugefügt. Diese, wie ein Vordruck anmutende Quelle lässt hier darauf schließen, dass diese Art der Urheberrechtsabtretung gängige Praxis der Zeit war und es sich bei Erna Mendelssohns Werk vermutlich nicht um einen Einzelfall handelte.
Spannend ist hier die handschriftliche Notiz „Mk 40.-“ neben dem Absatz der Honorarregelung, die vermuten lässt, dass die Komponistin 40 Mark für ihr Werk bekam.
Aus heutiger Sicht, in der die Rechtslage eine vollständige Übertragung der Urheberrechte unmöglich macht und zum Schutz der Urheber*innen ausschließlich Nutzungsrechte übertragen werden können, scheint dieser Betrag mit der Umfänglichkeit der Abtretung in keinem Verhältnis zu stehen. So schließt Erna Mendelssohn hier aus, von möglichen Einnahmen zu profitieren, sollte ihr Werk sich sehr gut verkaufen oder zu größerer Bekanntheit gelangen. Doch ist auch zu beachten, dass eine solche Vertragsschließung, gerade für Frauen im 19. und auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine der wenigen Möglichkeiten darstellte, mit ihren Kompositionen einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften.
Somit ist die vorliegende Quelle ein wichtiges Zeugnis darüber, wie sich die Lebensrealität von Komponist*innen um 1900 darstellte und wie sich ihr musikkulturelles Handeln auch in Verträgen wie diesem wiederspiegelt.
Erna Mendelssohn
Leider ist über das Leben von Erna Mendelssohn aus verschiedenen Gründen bisher nur wenig überliefert. Während die vorliegende Quelle einen davon sichtbar macht, lässt sich die Quellenlage vor allem damit begründen, dass Erna Mendelssohn zu den zahlreichen vom NS-Regime verfolgten Künstlerinnen zählte und so zu Lebzeiten an ihrer schöpferischen Tätigkeit gehindert und Zeugnisse dieser möglicherweise umfänglich vernichtet wurden.
Im Deutschen Musiker-Lexikon aus 1929 von Erich Müller findet sich jedoch ein Artikel zu der Komponistin und Sängerin, der die Eckdaten ihrer Biographie liefert: So wurde sie am 13. Juni 1885 in Berlin als Tochter von Ludwig Mendelssohn und Minna Dorn geboren. Ihre musikalische Ausbildung in Klavier und Gesang begann sie bereits mit fünf Jahren bei ihrem Vater, der Violoncello am Stern‘schen Konservatorium lehrte, sowie bei der Pianistin Helene Bornemann-Dorn. Ihr Bruder Felix Robert war ebenso Musiker und lehrte später, wie sein Vater, am Konservatorium. Abweichend von ihrer Ausbildung in Piano und Gesang komponierte sie Werke für Mandoline und Gitarre. Neben dem in der Quelle genannten Werk Fünf Duette für Mandoline und Gitarre (Laute) findet sich in Verzeichnissen bisher nur ein weiteres Werk mit dem sehr ähnlichen Titel Sechs Duette für Mandoline und Gitarre oder Laute aus dem Jahr 1911. In diesem Band finden sich die Titel Walzer für Mandoline, Gitarre, Italienisches Gondellied, Spanischer Tanz, Wiegenlieder für Mandoline, Gitarre, Träumerei sowie Polkas für Mandoline, Gitarre, herausgegeben vom Verlag Friedrich Hofmeister Leipzig. Im Ratgeber für Mandolinenspieler und Vereine von 1911 wird es als „wertvolle Bereicherung“ der Mandolinenliteratur bezeichnet und allen Erfahrungsstufen als Lehrwerk sehr empfohlen. Durch diese Zeugnisse wird ihre Tätigkeit als Komponistin sichtbar, die in ihrem Fach durchaus bekannt war.
Weitere wichtige biographische Marker von Erna Mendelssohn finden sich in der Biographie ihres Mannes, Bruno T. Satori-Neumann (1866- 1943), dessen Namen Sie zwar annahm, jedoch nicht für ihre musikalische Tätigkeit nutzte. Dieser war als Theaterwissenschaftler, Dramaturg und Lehrer tätig und gründete 1919 die Akademische Vereinigung für Theaterwissenschaft, aus der 1923 das Theaterwissenschaftliche Institut in Berlin hervorging. Aus seiner Biographie erfährt man, dass er unter anderem aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Frau Erna 1937 aus dem Schuldienst entfernt wurde. Diese Angabe widerspricht sich zunächst mit der Angabe aus Müllers Musiker-Lexikon, in dem ihre Konfession als evangelisch angegeben wird. Jedoch wird sie bereits einige Jahre später in den antisemitischen Publikationen Judentum und Musik – mit einem ABC jüdischer und nichtarischer Musikbeflissener (1938) und dem Lexikon der Juden in der Musik (1941) als jüdische Musikerin verzeichnet. Dies ist möglicherweise einer der Gründe, warum heute nur noch wenige ihrer Werke und Lebensdaten überliefert sind. Um dennoch ihren Nachlass vor dem Vergessen zu bewahren und ihr Werk im musikkulturellen Bewusstsein zu verankern, findet sich ein Artikel mit ihren Lebensdaten im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, einem Projekt der Universität Hamburg. Dieser Artikel trägt in großen Teilen dazu bei, dass nicht nur Erna Mendelssohn, sondern auch zahlreiche weitere Musiker*innen als Verfolgte der NS-Diktatur zu erkennen sind und auch heute deutlich wird, welchen Verlust ihre Verfolgung und die Zensur ihrer Werke für die Musikgeschichte darstellt. Während ihr Bruder Felix Robert Mendelssohn sich ins amerikanische Exil retten und dort weiterhin als Musiker tätig sein konnte, kam die Familie Satori-Neumann 1943 bei einem Bombenangriff in Berlin ums Leben.
Text: Janica Dittmann (Studentin im Masterstudiengang Medien und Musik an der HMTMH)
Literatur
Bpb.de, Artikel „Geschichte des Urheberrechts“, online unter: www.bpb.de/themen/digitalisierung/urheberrecht/169977/geschichte-des-urheberrechts/ (abgerufen am 12.01.25).
Hofmeister, Friedrich: Musikalisch-literatischer Monatsbericht, 1911, S. 284.
Jacobshagen, A./Reininghaus, F.: Musik und Kulturbetrieb. In: Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, 12 Bde., Bd. 10. Laaber, 2006.
LexM (Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Universität Hamburg), Artikel Erna Mendelssohn, online unter: www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00005848 (abgerufen am 12.01.25)
Müller, Erich H (Hrsg.) Deutsches Musiker-Lexikon. Dresden: Limpert, 1929. S. 918
Patocka, Ralph Günther: Satori-Neumann, Bruno Thomas, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, 2005, S. 443-444.
Personen-Datenbank des Stern’schen Konservatoriums, udk Berlin, online unter: https://www.udk-berlin.de/universitaet/fakultaet-musik/institute/institut-fuer-musikwissenschaft-musiktheorie-komposition-und-musikuebertragung/musikwissenschaft/forschung/abgeschlossene-forschungsprojekte/berlin-als-ausbildungsort-personen-datenbank-des-sternschen-konservatoriums (abgerufen am 12.01.25).
Ratgeber für Mandolinenspieler und Vereine, Druck von Julius Bandstätter Leipzig, 1911, S. 2.
Zuletzt bearbeitet: 16.01.2025
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