November 2025

„Nicht für Frauenhände“ – die Ausnahmepianistin Sophie Menter

Sophie Menter (1846–1918) war eine der am meisten gefeierten Pianistinnen ihrer Zeit. Besonders für ihre Interpretationen der Werke Franz Liszts erlangte sie große Bekanntheit. Ihre außergewöhnliche Leistung wurde vielfach gewürdigt. Davon zeugt auch die Quelle des Monats aus dem Bestand des FMG, an der sich darüber hinaus beispielhaft zeigen lässt, wie eng - und aus heutiger Sicht eher umständlich - die Würdigung von Musikerinnen seinerzeit an ihr Geschlecht geknüpft war.

Erste und letzte Seite des Briefes von Marie Lipsius an Philipp Fiedler. Leipzig, 18. Dezember 1887. Signatur: Rara/FMG Mara,La.2/6


Es handelt sich bei der Quelle um einen Brief von Marie Lipsius (1837–1927), einer engen Vertrauten Franz Liszts, die unter dem Pseudonym La Mara als Musikschriftstellerin tätig war. Das Schreiben ist datiert auf den 18. Dezember 1887 und richtet sich an den Kunstmäzen Philipp Fiedler (1840–1919). Offenbar war dem Brief eine Totenmaske von Liszt beigelegt, der im Sommer des Vorjahres verstorben war. Fiedler hatte Lipsius die Maske zur Ansicht geschickt, bevor sie an Sophie Menter weitergereicht werden sollte.

Marie Lipsius sandte Philipp Fiedler die Maske nun zurück und bedankte sich in ihrem Brief, „daß Sie bei Ihrer Huldigung für die Künstlerin, in deren Verehrung wir uns begegnen, freundlich meiner dachten“. Ihre Wertschätzung für Sophie Menter formulierte sie so: „Sie ist nicht nur eine wahrhaft große u. geniale, einzige Künstlerin, auch ihre Persönlichkeit ist lieb u anziehend, wie sie schön u. anmuthig ist.“ Marie Lipsius bezeichnete Sophie Menters pianistische Fähigkeiten hier unter anderem als genial – also mit einer Beschreibung, die auf eine schöpferische Geisteskraft verweist und vor allem im 19. Jahrhundert eindeutig männlich konnotiert war. Und dennoch habe Sophie Menter nichts von ihrer Weiblichkeit eingebüßt. Ganz ähnlich charakterisierte Marie Lipsius alias La Mara die Pianistin Sophie Menter 1882 im fünften Band ihrer Reihe Musikalische Studienköpfe, in welchem sie sich mit den Frauen im Tonleben der Gegenwart beschäftigte: „Eine bis in’s Einzelnste plastisch ausgemeißelte Technik, ein männlicher Ernst in Bewältigung des geistigen Theils ihrer Aufgaben, dabei Poesie und Wärme der Empfindung, ein hinreißendes Temperament, das auch beim kühnsten Sichgehenlassen der Schönheit und der Anmut seine Grenze echt weiblich nie berührt und vornehm stets die äußere Ruhe wahrt“ (La Mara, Musikalische Studienköpfe, 5. Band, 2. Aufl., 1882, S. 22/23). Sie impliziert damit, dass Sophie Menter trotz allem dem bürgerlichen Ideal einer Frau entsprach.

Aber ist eine Kombination aus Kopf und Herz nicht vielleicht sogar äußerst vorteilhaft im Bereich der Musikausübung? La Mara vertrat in den Musikalischen Studienköpfen die Meinung, dass Frauen das Komponieren, also „die eigentlich gestaltende Kraft, die Spontaneität der Erfindung und des combinatorischen Vermögens“ naturgemäß zwar nicht liegen würde. Gleichzeitig sei es aber wenig verwunderlich, dass Frauen gerade in der ausübenden Tonkunst vermehrt in die eigentlich den Männern vorbehaltene Öffentlichkeit treten würden: „Ist doch die Musik recht eigentlich die Kunst des Gemüths, spricht sie doch wie keine andere die Seele der Seele aus.“

Die Instrumentalistinnen ihrer Zeit könnten den männlichen Kollegen durchaus das Wasser reichen – oder mit La Maras Worten: „die Herrschaft über die Stimme und einzelne Instrumente teilen sie sich vollberechtigt mit dem starken Geschlecht, und am Klavier zumal, dem modernen Lieblingsinstrument, auf dem sie selbständiger und unabhängiger als auf jedem andern ihre Kunst geltend zu machen vermögen, ringen sie vereint mit jenem um die Palme“ (ebd., VIII). Dass Sophie Menter eine Ausnahmekünstlerin war, darauf konnten sich La Mara zufolge „die Vertreter der verschiedensten musikalischen Richtungen, die Stimmführer der Rechten wie der Linken“ (ebd., S. 29) einigen.

Doch woran lässt sich überhaupt festmachen, wer hier das Rennen um die Palme macht? Als Gradmesser gilt die Wahl des Repertoires bzw. der Komponist und dabei nicht zuletzt – auch hier war man sich einig - Ludwig van Beethoven. ,Sie interpretiert Beethoven nicht minder stilvoll als Chopin und Liszt‘, zitiert La Mara den Musikkritiker Richard Pohl (1826-1896), der als Anhänger der sogenannten neudeutschen Schule in diesem Fall ausnahmsweise mal einer Meinung mit dem „streng konservativen [Otto] Gumprecht“ (1823-1900) war, welcher die Gegenseite vertrat. In einer überarbeiteten Fassung der Musikalischen Studienköpfe von 1902 ergänzte La Mara ihre Charakterisierung von Sophie Menter um den Hinweis, sie sei „die unvergleichliche Interpretin des Es-dur-Konzerts“. Zudem zitiert sie den Musikschriftsteller und Beethoven-Biografen Wilhelm von Lenz (1808–1883), der Menter als „Beethoven-Königin“ bezeichnet habe (Musikalische Studienköpfe, Bd. 5, 3. Aufl., 1902, S. 31).

Gleiches Instrument, gleiches Repertoire, gleiche Voraussetzungen für Männer und Frauen? Nicht ganz. Sophie Menter leistete, so Marie Lipsius in ihrem Brief von 1887 an Philipp Fiedler, fast Übermenschliches mit ihrer Interpretation des 5. Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven. Ihre Formulierung spricht Bände: „Ich freue mich schon jetzt auf ihr Wiederkommen u. erwarte vom Es-Dur Concert unbeschreiblichen Genuß. Sie ist sicher die einzige Frau, die diesem Concert gewachsen ist, das Beethoven nicht für Frauenhände schrieb.“

Ausschnitt aus dem Brief von Marie Lipsius an Philipp Fiedler. Leipzig, 18. Dezember 1887. Signatur: Rara/FMG Mara,La.2/6


Sophie Menter war nicht nur Pianistin. Sie war auch Komponistin und widmete sich damit einem Bereich in der Tonkunst, der noch weniger „für Frauenhände“ gedacht war. Ein wichtiger Schritt für die Sichtbarkeit von Komponistinnen ist nach wie vor, dass ihre Werke gespielt werden und gehört werden können. Im Repertoire der diesjährigen Telekom Beethoven Competition in Bonn sind mit Clara Schumann, Fanny Hensel und Luise Adolpha Le Beau erstmals auch Komponistinnen vertreten. In Kooperation mit dem Wettbewerb gibt das FMG in der Ausstellung „…nicht für Frauenhände“? – Komponistinnen und Pianistinnen im 19. Jahrhundert“ Einblicke in das Leben und Schaffen von Clara Schumann, Fanny Hensel und Luise Adolpha Le Beau. Die Ausstellung ist vom 4. bis 12. Dezember 2025 in der Zentrale der Deutschen Telekom in Bonn zu sehen. 

Text: Dr. Viola Herbst (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum Musik und Gender)

 
Fotografie von Sophie Menter. Fotograf: Josef Löwy. [o.O.], 1875. Quelle: sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/manskopf/content/titleinfo/5538817
Stahlstich von Marie Lipsius. Stich und Druck: August Weger. Leipzig, [o.D.]. Quelle: www.stadtmuseum.leipzig.de/document/objekt/MT002101

Zuletzt bearbeitet: 04.11.2025

Zum Seitenanfang