Jenny Linds Amerika-Tour (1850–1852)
Die schwedische Sopranistin Jenny Lind (1820–1887) genoss im 19. Jahrhundert und darüber hinaus in Europa und Großbritannien eine von Sänger:innen bis dato unerreichte Berühmtheit (Rogers, 1946). Als »schwedische Nachtigall« betitelt, sang sie in Opern- und Konzerthäusern von Stockholm über Berlin bis London, bevor sie der amerikanische Impresario und »Showman« P. T. Barnum für eine Amerika-Tour unter Vertrag nahm. Die Tour war nicht nur ein überwältigender Erfolg, sondern auch eine Mediensensation nie da gewesenen Ausmaßes (Grotjahn, 2001) – man erkennt darin die Grundzüge des heutigen Starkultes wieder.
Diesen (Medien-)Erfolg genauer zu betrachten, ist aus mehreren Gründen spannend: So spielen Frauen (Komponistinnen wie Musikerinnen) in Musikgeschichtsschreibungen selbst heute noch häufig eine untergeordnete Rolle (Borchard, 2006). Gleichzeitig sind von Linds Amerika-Tour zahlreiche Dokumente erhalten, darunter zeitgenössische Biografien und Zeitungsartikel, die für die zeitgenössischen Fans von großer Bedeutung waren. Statt als Lebens- und Ereignisbeschreibung mit objektivem Wahrheitsanspruch sollte man diese Dokumente als Narrative betrachten, die bestimmte Weltanschauungen unterstützen. Insbesondere werden Klischeebilder der berühmten Sängerin geprägt: Man kann aus den Berichten über Linds Leben und die Amerika-Tour letztlich vor allem schließen, welche Idealbilder das amerikanische Publikum hatte, auf welchen Werten diese aufbauten und auch, wie sich das Publikum selbst betrachten wollte (Linkon, 1998): Als Fan einer erfolgreichen Geschäftsfrau? Einer wohltätigen Christin? Eines niveauvollen Gesangstalents?
Wir laden Sie ein, sich auf den Spuren Linds Ihr eigenes Bild zu machen – nicht nur von der Sängerin und ihrer öffentlichen Betrachtung, sondern auch vom Nordamerika des 19. Jahrhunderts: von Architektur, Menschen, Klängen und Ereignissen.
Jenny On Tour
In Lübeck unterschreibt Lind ihren Vertrag mit P. T. Barnum. Die Amerika-Tour, für die sie sich damit verpflichtet, wird auf lebendige Weise in unserer Hyperfiction nacherzählt – Jenny On Tour basiert auf biografischen Informationen, die durch eine fiktionale Erzählweise zu einem Narrativ aufbereitet wurden.
Alle verwendeten Medien basieren auf historischen Quellen. So wurden z. B. alle Hintergrundgrafiken historischen Fotos und Zeichnungen nachempfunden. Über die Buttons an den Seiten gelangen Sie zu weiteren Seiten mit Plot- oder Kontextinformationen, welche das Hauptnarrativ ergänzen.
Lust, ein bisschen was zu entdecken? Dann machen Sie sich auf die Suche nach den Easter Eggs, die wir in unserer Hyperfiction versteckt haben. Nutzen Sie auch die multimedialen Elemente der Hyperfiction und lauschen Sie besonders den Hörbuchelementen und Soundscapes!
Jenny On Tour ist keine abgeschlossene Hyperfiction, sondern kann und soll im Laufe der Zeit um weitere multimediale Hypertextelemente ergänzt werden. Schauen Sie also regelmäßig auf unserer Homepage vorbei und entdecken Sie immer wieder neue Facetten um Jenny Lind und ihre Konzertreise!
Digitale Formate für digitale Ausstellungen
Das Museum wandelt sich. Zum Glück hat es nicht erst diese Pandemie gebraucht, um für die museale Praxis das hohe Potential von digitalen Ausstellungsformaten erkennen zu lassen. Ihre vermeintliche Alternativlosigkeit hatte die »Ausstellung in Präsenzform« schließlich (zumindest theoretisch) mit ihrem Einzug in das digitale Zeitalter bereits verloren. Tatsächlich finden seit der Etablierung des Internets als Massenmedium immer mehr Ausstellungen ihren Weg ins Netz – von hybriden Formen bis hin zu gänzlich digitalen. Darüber hinaus erscheint es inzwischen als unumstritten, dass Ausstellungen weniger als Orte objektiver Realitätsabbildungen zu verstehen sind denn als Orte, an denen sinnstiftende Narrative konstruiert werden (Hahn, 2015). Diese Berücksichtigung der Positionalität der Ausstellenden hat ebenso wie das damit verbundene Eingeständnis der Fiktionalität folgende Frage zur Folge: Wie lassen sich solche Narrationen von einem analogen in ein digitales Ausstellungsmedium übertragen?
Die transmediale Erzähltheorie (Mahne, 2007) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die medieninhärenten Dynamiken zugleich unterschiedliche Erzählpotentiale nahelegen. In unserem Pilotprojekt, Jenny On Tour, soll die Hyperfiction als ein für den digitalen Ausstellungsraum geeignetes Format vorgeschlagen werden. Zu den medieninhärenten Vorzügen von Hyperfictions gehören u. a.: (1) das Potential der Nonlinearität, (2) die Einsetzbarkeit multimedialer Mittel, (3) die Autonomisierung der Rezipient:innen durch den partizipativen Lesecharakter (Mahne: »ontologische Meta- lepse«, 2007, S. 124) sowie (4) eine unverwechselbare digitale Ästhetik. Die für diese Hyperfiction genutzte Struktur orientiert sich an Mahne (2007), indem sie auf das von ihr als »geführtes Netzwerk« bezeichnete Organisationsprinzip zurückgreift (Abb. 3). Durch das für Hyperfictions charakteristische Primat der Topografie (vgl. Suter, 1999, S. 66) und die Integration verschiedener Quellenarten ähnelt die Hyperfictionkonstruktion einer »Montage« (Borchard, 2006), und zeigt, dass Hyperfictions nicht nur als konstitutives Element »im Ausstellungsraum« verstanden werden können, sondern auch als Ausstellungsraum selbst. Über einen Computer in die analoge Ausstellung integriert, wird die Hyperfiction damit zu einem Ausstellungsraum im Ausstellungsraum.
Konzeption und Texte: Lukas Lessing und Terry Blühdorn (Studierende des Seminars »Musik ausstellen«)
Literatur
Borchard, Beatrix. »Mit Schere und Klebstoff. Montage als wissenschaftliches Verfahren in der Biographik«, in: Musik mit Methode. Neue kulturwissenschaftliche Perspektiven, hg. von Corinna Herr und Monika Woitas. Köln: Böhlau, 2006, S. 47–62.
Grotjahn, Rebecca. »Diva, Hure, Nachtigall: Sängerinnen im 19. Jahrhundert«, in: Frauen in der Musikgeschichte. Dokumentation der Ringvorlesung im Sommersemester 2001, hg. von Susanne Rode-Breymann. Köln: o.V., 2001, S. 41–54.
Hahn, Hans Peter. »Wie Archive das Denken beeinflussen«, in: Archäologische Informationen 38, 2015, S. 203–212.
Linkon, Sherry Lee. »Reading Lind Mania. Print Culture and the Construction of Nineteenth-Century Audiences«, in: Book History, Vol. 1, No. 1 (1998), S. 94—106.
Mahne, Nicole. Transmediale Erzähltheorie: eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Aufl., 2007, besonders S. 9–24 und S. 104–128.
Suter, Beat. Hyperfiktion und interaktive Narration im frühen Entwicklungsstadium zu einem Genre. Zürich: update Verlag, 1999.
Zuletzt bearbeitet: 27.01.2021
Zum Seitenanfang