Lilli Lehmann, Carmen

Handlung und Rollenbeschreibung: Carmen

Evgenia Asanova als Carmen u.a. aus der Oper "Carmen" von Georges Bizet, Staatstheater Hannover, Foto: Sandra Then, 2020.

Carmen, Oper in 4 Akten
Musik: Georges Bizet
Libretto: Henri Meilhac, Ludovic Halévy
Uraufführung: 3. März 1875

Handlung
Die Gitana (spanische Roma) und Schmugglerin Carmen arbeitet mit einigen anderen Frauen in einer Zigarettenfabrik. Sie ist eine umworbene, verführerische Frau und macht der männlichen Hauptfigur und Wache Don José schöne Augen – dieser wurde allerdings schon Micaela versprochen, ebenfalls Arbeiterin in der Fabrik. Als dort ein Streit ausbricht und Carmen eine andere Frau mit einem Messer verletzt und sich dann noch darüber lustig macht, soll ausgerechnet Don José sie ins Gefängnis bringen.
Carmen bietet ihm eine heiße Nacht in einer Schenke, wenn er sie im Gegenzug gehen ließe. Hin- und hergerissen lässt er sie fliehen und kommt dafür für einen Monat ins Gefängnis. Nach diesem Monat erwartet Carmen ihn in der Schenke, nachdem sie Escamillo abgewiesen hatte. Bevor sich beide näher kommen können, wird Don José zur Pflicht gerufen. Sie lacht über sein Pflichtbewusstsein. Als ein weiterer Verehrer Carmens hereintritt,  kommt es zur Auseinandersetzung. Don José muss mit den anwesenden Schmugglern in die Berge fliehen, während Carmen sich in der Zwischenzeit wieder von Don José abwendet.
Im Lager der Bande treffen José und Escamillo aufeinander, die sich in einen Kampf um Carmen verstricken. Diese hindert José daran, Escamillo zu töten. Darauf lädt der Torero Escamillo alle zu seinem nächsten Stierkampf in die Arena Sevillas ein.
Zum Zeitpunkt des Kampfes wird klar, dass José Carmen immer noch liebt und mit ihr sein Leben teilen möchte - doch sie entsagt ihm. Während Escamillo in der Arena seinen Kampf gewinnt, ersticht José Carmen.

Rollenbeschreibung
Brennende Leidenschaft und absolute Freiheit – für beides steht Carmen. Die attraktive Cigarrera (Zigarrendreherin) kann mit ihren verführerischen Fähigkeiten jeden Mann ohne Mühe für sich gewinnen. Nach der großen Liebe sucht sie allerdings nicht und trifft (selbst-)bewusst die Entscheidungen, die ihre Freiheit erhalten können und kehrt damit die Rollenbilder von Frau und Mann um. Sie weist am Ende jeden der Männer ab, die sie für sich gewinnen möchten. Carmen gilt als eine der bekanntesten Femme fatale auf der Opernbühne, in denen sich bestimmte Imaginationen von Weiblichkeit (mächtig, verführerisch) spiegeln.
Die Machtverteilung ist klar: Don José spielt die Rolle des schwachen Charakters, der pflichtbewusst seiner Arbeit oder seiner Mutter gegenüber treu bleibt, dabei aber nie die Entscheidungen trifft, die ihm Spaß im Leben garantieren würden. Carmen dagegen tritt als der starke Hauptcharakter auf. Sie wird sogar handgreiflich, verletzt eine Frau mit einem Messer. Ihr ist bewusst, wie sie auf Menschen wirkt und weiß ihre Eigenschaften und Fähigkeiten für sich zu nutzen. Ihre Angewohnheit, mit den Männern zu spielen, bedeutet für sie am Ende den Tod.

Personen- und Exponatbeschreibung

»The lady came with an excellent reputation and sustained it in her acting as well as her singing. Her tall stature and almost military bearing were calculated to produce an effect of surprise which had to be overcome before the audience were ready to enter into the feeling which she infused into the part. To the eye she was a somewhat more matronly Carmen than the fancy is tempted to paint as the ideal heroine of Bizet's opera, and it was in harmony with the new picture that she stripped the character of the flippancy and playfulness which the public are inclined to associate with it, and intensified its sinister side. […] Her voice is true, flexible, and ringing, and of most telling quality. She sings with perfect ease and her high notes have a fairly electrifying timbre and power. She has the ability to fill it with the passionate expression and warmth of color which the music of the part often calls for, and utilizes this ability with rare judiciousness and taste. In every respect her Carmen is a unique creation and her art as exhibited in it realizes expectation to the full.«

Krehbiel, Henry E. »German Opera at The Metropolitan.« In New-York Tribune, 26. November 1885.

Die Sängerinnen wurden oft mit den von ihnen gespielten Rollen in Verbindung gebracht. Diese Aussage gilt auch umgekehrt. Henry E. Krehbiels Kritik an Lilli Lehmanns Debüt an der Metropolitan Opera in New York dokumentiert diese Assoziation ebenso wie das Porträt der Sängerin in der Rolle, die sie am 25. November 1885 spielte. Während Carmen nicht die repräsentativste Figur in Lilli Lehmans Karriere ist – oder vielleicht gerade deshalb –, ist es interessant zu sehen, wie die Figur in Bizets Oper durch die Interpretation der deutschen Sängerin dargestellt wird.
Die Rezension des US-amerikanischen Kritikers und Musikwissenschaftlers bezieht sich nicht nur auf Lehmanns künstlerische und musikalische Qualitäten, sondern legt auch großen Wert auf ihr körperliches Aussehen und die Übereinstimmung zwischen ihr und dem von Carmen dargestellten Archetyp. Es ist also klar, dass diese Aspekte eine sehr wichtige Rolle in der Karriere der damaligen Sängerinnen spielten. Lässt sich dies auch bei aktuellen Sängerinnen beobachten? Diese Frage lassen wir offen und fragen Sie, die Zuschauer:innen dieser Ausstellung, nach Ihrer Einschätzung.

Collage mit Porträts von Lilli Lehmann in verschiedenen Rollen. Signatur: Rara/FMG Lehmann,Lill.12/1 © Archiv fmg

 

Andererseits ist es interessant zu sehen, in welchem Kontext sich diese Quelle im FMG-Archiv befindet. Es handelt sich um eine Collage mit verschiedenen Fotografien von Lilli Lehmann, in der sie einige der repräsentativsten Rollen spielt. Wir haben keinen Hinweis über den Ursprung dieser Collage, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um ein Objekt eines Fans handelt, der die kleinen Fotos der Sängerin gesammelt und in dasselbe Dokument als Erinnerung oder Kultobjekt eingefügt hat. Tatsächlich verbreitete sich Lilli Lehmanns Ruhm nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auf der ganzen Welt.

Ausgewählte Literatur

Krehbiel, Henry E. »German Opera at the Metropolitan«. The New York Tribune. 26. November 1985.

Sommeregger, Peter. »Lehmann, Lilli«. MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 01.12.2011,

 
Fotografie von Lilli Lehman (1848–1929) als Carmen aus der Oper »Carmen« von Georges Bizet, E. Bieber, 1885[?] Signatur: Rara/FMG Lehmann,Lilli.12/1 © Archiv fmg

Zuletzt bearbeitet: 28.01.2021

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