Juli 2022

Regelmäßig werden in der Rubrik „Quelle des Monats“ Raritäten aus dem Bestand des fmg vorgestellt. Die Exponate konnten dank der Finanzierung durch die Mariann Steegmann Stiftung erworben werden und ergänzen den vielfältigen und einzigartigen Archivbestand des Forschungszentrums. Ausstellungsstücke und Exponatbeschreibungen der vergangenen Monate können links im Menü eingesehen werden.

"The Music by her Sister". Gemeinschaftliches (musik-)kulturelles Handeln der Schwestern Felicia Hemans, geb. Browne und Harriet Hughes (d.i. Harriet Mary Owen, geb. Browne)


Die aktuelle Quelle des Monats steht im Zeichen der am Forschungszentrum Musik und Gender Anfang Juli 2022 stattfindenden Konferenz „(Wahl-)Verwandtschaften: Gemeinschaftliches kulturelles Handeln“. Der Begriff des kulturellen Handelns prägt die Arbeit am fmg seit vielen Jahren – dies spiegelt sich nicht nur in Arbeitsgruppen und Publikationen wider, sondern auch im umfangreichen Quellenbestand, der Einblicke in das musikkulturelle Handeln von Frauen aus dem späten 18. bis ins 21. Jahrhundert gibt.

Das gemeinschaftliche kulturelle Handeln wiederum ist in den letzten Jahren vermehrt ins Blickfeld der Forschung geraten. Die Studien der letzten Jahre – das gilt für die Untersuchungen zu Paar- und Geschwisterbeziehungen ebenso wie für die Betrachtungen umfangreicherer Netzwerke – verdeutlichen: Künstlerisches Handeln ist eingebettet in kollaborative Strukturen – sei es die konkrete gemeinsame Kunstausübung in all ihren Facetten, das Präsentieren künstlerischer Produkte in Zusammenarbeit zwischen Verlag/Konzertveranstaltung/Galerie und Künstler*in, Formen der gemeinsamen Kunstreflexion u.v.m. Die Art der Zusammenarbeit ist dabei durch verschiedene Beziehungsformen geprägt. Zu denken ist hier neben den bereits genannten Paar- und Geschwisterbeziehungen auch an weitere familiäre Beziehungen, Freundschaften, kollegiale Beziehungen aber auch an Rivalitäten und (etwa durch Scheidungen) aufgekündigte Beziehungen.

Abb. 1: Notendrucke der Hemans-Hughes-Gemeinschaftswerke "The Treasures of the Deep", London: Chappell [ca. 1848] und "The Captive Knight", London: Willis [1830], Rara/FMG NO Hughes,H (320).2 und Rara/FMG NO Hughes,H (320).4 © Archiv fmg


Auch in einer Vielzahl der Quellen aus dem Archiv des fmg finden sich Belege für verschiedene Formen kollaborativen Arbeitens in der Musik. Exemplarisch seien hier die insgesamt acht Notendrucke von „Mrs. Hemans and Sister“ genannt, die sich in der umfangreichen Rara-Notendruck-Sammlung des fmg befinden (s. Abb. 4). Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in London erschienenen Drucke verweisen auf die gemeinschaftliche Arbeit der englischen Dichterin Felicia Hemans, geb. Browne, und ihrer Schwester, der Komponistin Harriet Mary Owen, geb. Browne, die auch unter dem Pseudonym Harriet Hughes wirkte.

Die Songs und Ballads der Schwestern gehörten zu den ‚Klassikern‘ der bürgerlichen Hausmusikliteratur in den 1830er und 40er Jahren und waren sowohl in Großbritannien als auch in den USA weit verbreitet. Nicht zuletzt die hohen Auflagenzahlen, die – sicher vor allem auch zu Werbezwecken – auf den Titel- und Werbeseiten der Notendrucke angegeben sind, lassen auf eine weite Verbreitung der Werke der Schwestern schließen. Besonders hohe Auflagenzahlen finden sich etwa bei Harriet Hughes’ Ballad „The Captive Knight“, von der im fmg-Bestand ein auf 1830 datiertes Exemplar der „Twenty-first Edition“ vorliegt, das im Londoner Verlag Willis & Co. erschienen ist. Der Verlag Chappell & Co., der später eine Vielzahl der zuvor bei Willis & Co. publizierten Werke in seinen Katalog aufnahm, setzte schließlich die Auflagenzählung fort und veröffentlichte Ende der 1840er Jahre bereits die 71. Auflage der Ballad.

Abb. 2: "The Treasures of the Deep", Noten, [ca. 1848], Rara/FMG NO Hughes,H (320).2 © Archiv fmg


In Hinblick auf gemeinschaftliches musikkulturelles Handeln erscheint hier besonders interessant, dass das Schwesternpaar auf den Notendrucken in der Regel als Einheit in Erscheinung tritt, wobei es stets die Dichterin ist, die namentlich erwähnt wird, während die Komponistin meist nur als „ihre Schwester“ sichtbar wird.

Dies lässt sich einerseits auf die Popularität Ersterer zurückführen: Felicia Hemans’ Gedichte wurden zu Lebzeiten, aber auch noch in den Jahren nach ihrem Tod im Jahr 1835, (erneut) publiziert und beispielsweise im Schulunterricht rezipiert. Darüber hinaus wurden ihre Werke nicht nur von Hemans’ Schwester, sondern auch von verschiedenen Komponistinnen und Komponisten vertont, wiemehrere Notendrucke in der fmg-Sammlung belegen.
Andererseits wird hier deutlich, dass es sich bei „Mrs. Hemans and her Sister“ regelrecht um eine Marke handelte. Dass der Markenwert hoch war, wird auch aus einem auf dem Notendruck des Gemeinschaftswerks „The Treasures of the Deep“ deutlich: Willis & Co. integrierten hier auf der Rückseite – wie auch auf vielen anderen ihrer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts publizierten Drucken der Geschwister – die Warnung vor unautorisierten Veröffentlichungen der Songs des Geschwisterpaares und betonten im Zuge dessen, dass sie deren alleinige rechtmäßige Verleger seien:

„CAUTION. Several Persons having adapted New Music to some of Mrs. Hemans and Sister’s popular Songs, the Public are respectfully informed that I. WILLIS & Co., No. 27, Lower Grosvenor Street, are the authorized Publishers of Mrs. HEMANS’ Works, with the Music by her Sister.“

Abb. 3: Rückseite des Notendrucks von Hemans' und Hughes' "The Treasures of the Deep", London: Chappell [ca. 1848], Signatur: Rara/FMG NO Hughes,H (320).2 © Archiv fmg


Werbeanzeigen, wie sie beispielsweise der Rückseite eines bei Chappell erschienenen Nachdrucks der Ballad „The Treasures of the Deep“ erschienen (s. Abb. 3), suggerieren, dass das Schwesternpaar in diesem Kontext ausschließlich als Duo wirkte. Insbesondere durch die Überschrift „Songs, Duets, &c. by Mrs. Hemans and Sister“ wird hier der Eindruck erweckt, alle dort aufgeführten Titel seien Gemeinschaftswerke der Schwestern. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr sind darunter beispielsweise auch solche Werke, für die Harriet Hughes Texte von anderen Autoren und nicht von ihrer Schwester vertonte. So handelt es sich etwa bei „Zara’s Ear Rings“ vermutlich um eine Vertonung aus John Lockharts Spanish Ballads und auch die Textvorlage des Songs „I Remember, I Remember“ stammt höchstwahrscheinlich nicht von Felicia Hemans, sondern von Thomas Hood.

Das Beispiel der englischen Schwestern zeigt, wie Personen einerseits von kollaborativem kulturellen Handeln profitieren konnten. Zwar wirkten beide musikkulturell auch unabhängig voneinander – Felicia Hemans dadurch, dass ihre Gedichte durch andere Komponistinnen und Komponisten vertont wurden und Harriet Hughes wiederum durch ihre Vertonungen von Texten anderer Personen. Insbesondere Harriet Hughes scheint jedoch mit ihren Kompositionen der Gemeinschaftswerke erfolgreicher gewesen zu sein, wie neben den hohen Auflagezahlen auch weitere Angaben auf den Drucken vermuten lassen, da ihre Vertonungen anderer Textdichter häufig mit einem Verweis auf bereits erschienene und etablierte Gemeinschaftswerke der Schwestern versehen wurden:  Auf der Rückseite des im fmg überlieferten Drucks von „The Messenger Bird“ wird etwa der Song „The Charge of the Light Brigade“ (Text: A. Tennyson) mit dem Zusatz „Music by Mrs. W. H. Owen, the Composer of the Captive Knight“ beworben.
Anderseits scheinen die vorliegenden Quellen aber auch zu belegen, dass sich gemeinschaftliches (musik-)kulturelles Handeln auch nachteilig für Einzelpersonen auswirken kann. Während die Dichterin Felicia Hemans heute noch vergleichsweise bekannt ist, sind Harriet Hughes und ihr musikkulturelles Handeln kaum sichtbar. Mehr noch: Ihre Werke werden sogar anderen Personen zugeschrieben, wie das Titelblatt der „Forty-fifth Edition“ der Ballad „The Treasures of the Deep“ zeigt: Es trägt einen mit Bleistift angefügten Hinweis unbekannter Hand auf die Komponistin [Mrs. Robert] Arkwright.*

Abb. 4: Noten der Gemeinschaftswerke der Schwestern Felicia Hemans und Harriet Hughes, Rara/FMG NO Hughes,H (320).1-6 © Archiv fmg


*Wann die falsche Zuschreibung auf dem Notendruck vorgenommen wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

Text: Dr. Maren Bagge (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum Musik und Gender der HMTMH)

 

Zuletzt bearbeitet: 01.08.2022

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